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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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wär’s jetzt auch egal, bald zu gehen, nach so einem außerordentlich schönen Leben. Und dass die Kinder nicht kommen, ach, gestern sind alle da gewesen, aber Sie haben doch so gut geschlafen, da wollten wir Sie nicht wecken. Lügen musste man, sonst war das nicht auszuhalten, sie durften nicht begreifen, dass sie keiner mehr liebhatte, dass ein Leben vorbei war und nicht einer zum Liebhaben geblieben war. Das war doch nicht auszuhalten.
    Toto saß und streichelte und hörte immer wieder Geschichten über die Kindheit und die Bäume, wie gut sie damals gerochen hatten, aber was da gut gerochen hat, war die Idee, dass da ein prächtiges Leben wartete hinter der Wiese. Und es war doch nie gekommen. Wie bei Toto war es nie gekommen, das prächtige Leben mit Blumen- und Akazienduft. Da waren immer nur geschiedene Ehen, gescheiterte Berufe, verlorene Kinder, Krankheiten und Niederschläge, aber das hatten die meisten hier vergessen, das war gut zu wissen. Dass man das, was das Leben ausgemacht hatte, vergaß, und was blieb, war die Kindheit und die erste Liebe, die erste eigene Wohnung, die erste Schiffsreise und das Meer, in dem sich alle auflösen wollten. Oft wusch Toto die Alten, so dass sie schön rochen, wie Engel sahen sie aus, mit den hübschen Frisuren, die sie ihnen machte, sauber und frisch, und dann konnten sie wieder einen Tag ertragen. Toto blieb immer länger, als ihre sechs Stunden Schicht es verlangt hätten, sie blieb bei manchen die gesamte Nacht, wenn es ans Sterben ging. Saß in dem Zimmer neben dem Vorhang, hinter dem die Reinigungsgeräte steckten, hielt eine Hand und hörte den immer gleichen Worten zu. Mir ist so kalt, so kalt, und dann legte sie die Hand auf die Körper und wusste, die Kälte wird man durch keine andere Maßnahme eindämmen können. Ich hab Angst, solche Angst. Und da half nur das Streicheln, aber auch das nicht wirklich. Das Große Schwarze Loch, nie mehr einen Frühling sehen, nie mehr einen Hund oder einen Menschen dicht wissen. Und wenn es zum Ende kam, legte Toto ihr Gesicht und ihre Arme ganz fest an die Sterbenden; so wie man Babys in enge Tücher schnürt, damit ihnen wohl ist, musste man sie umfassen, so eng, damit sie sich aufgehoben fühlten und dann gehen konnten, an diesen leeren Ort, der kalt ist und nichts.
    Vermutlich.
    Toto hatte ihre Bestimmung gefunden, sie mochte kaum mehr in ihre Wohnung gehen, weil sie gebraucht wurde. Warum denken die Menschen nicht, dass sie alle bald hier landen werden und dass keiner, keiner allein sein will, warum können hier nicht Kinder sein oder Tiere, warum riecht es nach Krankenhaus und nicht nach Blumen.
    Der Zufall. Natürlich könnte man sagen, es war eine innere Ahnung, was Toto an diesem Alten- und Pflegeheim vorbeigeführt hatte, eine Tafel mit Stellenangeboten war ihr aufgefallen, denn genau als sie die passierte, hatte ein Vogel vor ihr auf die Straße gelassen, und ihr Blick traf die Tafel, Altenpfleger/in auch zum Anlernen! Wenig später hatte sie einen Job, und es war der beste, den sie sich vorstellen konnte, denn er war ihr nicht Beruf, sondern Wohlgefühl und Aufgabe, dass da einer wäre am Ende, der noch ein wenig mit einem lacht. Toto hatte die perfekte Möglichkeit gefunden, etwas zu tun, das über sie hinausreichte. Und zum ersten Mal hatte sie Angst, dass wieder etwas passieren würde und sie nicht mehr bei ihren Gästen sein könnte.

Und weiter.
    Also wirklich, sagte der Direktor, ich habe ja nichts gegen Homosexuelle, ich bin selber mit einigen befreundet. Toto wusste, was folgen würde, irgendwelche völlig unerheblichen, abstoßenden Aussagen, während derer sie ihren Verstand spazieren schicken konnte.
    Hauptsächlich aber waren Toto die Beine schwer von Müdigkeit, die nutzt sich ab, die Standfestigkeit, mit der Abfolge von immer gleichen Dingen, sie wusste, ihr war nicht einmal ein Mindestmaß an Wohlgefühl im Leben garantiert worden, aber es durfte doch gestattet sein, sich auch ab und an zu fragen, warum diese kurze Zeit des Aufenthaltes hier einem ständig von Menschen vermiest wird. Nicht unbedingt die Krankheiten, der Haarausfall, die Erdbeben, es waren die Gemeinheit derer, die sich im Recht fühlten, ihr Neid auf die geahnte persönliche Freiheit eines anderen, die machten es so schwierig, das Leben.
    Schon wieder eine Entlassung, ein Abschied, jetzt, mit fast vierzig, da werden die Bewegungen noch nicht schwer, aber der große Elan ist verschwunden, das Gefühl der Unendlichkeit hat sich

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