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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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im Jahr. Er studierte vorher. Intelligente Reiseführer. Er fuhr in Urlaub mit seiner Frau und den symmetrischen Kindern, und die schwitzten, die besichtigten Denkmäler, die hassten ihren Vater, Bramann, der mit blödem Gesicht in der Landschaft steht und sich nach Hause wünscht und stattdessen das Gespräch mit dem Eingeborenen sucht, mit dem Neger. Mit welcher Eleganz die sich bewegen, wenn sie sich bewegen! Die Bewegungen der Pflegerin, die er hasste, waren alles andere als elegant. Sie bewegte sich wie ein Fisch an Land. Unweiblich. Eine Frau muss weiblich sein. Warm, weich, rund, einladend, begehrenswert. Eine Frau muss unbedingt begehrenswert sein, denn sie schafft ja nichts aus sich heraus, sie muss sich mit männlichen Molekülen aufladen. Bestäuben lassen. Mit welcher Herablassung du von uns sprichst, hatte seine Frau ihm einmal vorgeworfen. Er hatte sie nicht verstanden. Er hatte gesagt: Stell dir doch vor, wie du für ein Haustier empfindest, für deinen Pudel, der dir gestorben ist. Du liebst ihn, respektierst ihn, du umsorgst ihn und behütest ihn. Aber würdest du ihn darum wählen lassen? Über den Kauf eines Neuwagens entscheiden lassen? Seine Frau hatte dann nichts mehr gesagt, und diese Pflegerin, die stand da mit ihrem fremden Gesicht und stimmte nicht.

Und weiter.
    Normalerweise wäre es außer Diskussion gewesen, dass Toto den Direktor bereits nach Sekunden von seiner Qual erlöste, doch es ging nicht um sie, sondern um die Gäste, die ihr eine Familie geworden waren. Der Direktor würde gewinnen, früher oder später würde er gewinnen, vielleicht würden die Insassen des Heims zu leiden haben, vielleicht würde er ihnen. Und als läse er Totos Gedanken, fuhr der Direktor fort: Wenn Sie nicht freiwillig gehen, sehe ich mich zu Sanktionen gezwungen. Vielleicht, und das bleibt hier im Raum, Sanktionen gegen Ihre Pflegebefohlenen.
    Unbedeutend, dass der Direktor Unrecht hatte, Recht ist eine Erfindung der Machtlosen, um sich an etwas zu klammern, in ihrer Unterlegenheit. Das gibt es doch gar nicht, dieses Recht, in einer Welt, in der jeder Unrecht hat, der nicht man selber ist.
    Toto ging zu ihrem Spind und konnte sich kaum bewegen. Wie sollte sie es den Alten sagen, die jeden Morgen lächelten, wenn sie das Zimmer betrat, die weinten, wenn sie nach Hause ging.
    Die Plastiktüte mit den Dingen, die auf der Arbeit eine Bedeutung gehabt hatten und nun nichts mehr waren als Sachen.
    Jetzt weinen Sie doch nicht. Bitte weinen Sie nicht mehr. Toto schob Frau Meier in den Waschraum zur Funktionspflege. Das war genauso, wie es hieß. Toto hatte sich noch nicht daran gewöhnt. Alte wurden verwahrt, versorgt, verstaut, zum Sterben abgelegt, wenn sie nur endlich sterben wollen, dann kommt die Rechnung des Krematoriums, und vielleicht ließe sich hier und da noch ein rechter Gewinn mit den Särgen machen.
    Wenn ich Sie nur mitnehmen könnte, sagte Toto. In eine große Villa. Frau Meier weinte. Sie hatte Multiple Sklerose, konnte ihre Glieder nicht beherrschen, aber der Kopf war noch da, noch wach und traurig. Viele von Totos Damen waren dement geworden. Neuen, völlig unbestätigten Erkenntnissen zufolge hatten sie den Verlust ihres Verstandes selbst zu verantworten. Keine der Damen hatte nach Kriegsende einen Posten im Aufsichtsrat innegehabt, sie hatten nicht gearbeitet, keine Leistung erbracht, außer Kinder aufzuziehen, nach dem Krieg, und Männern Essen zuzubereiten, und nun waren sie tot und bewegten sich noch und waren selber schuld, die dummen Alten, hatten ihr Gehirn vernachlässigt.
    Funktionspflege. Frau Meier wurde abgeduscht, sie weinte. Toto weinte. Dass es so unwürdig war, von Beginn, vom Einnässen in die Windeln, und da schloss das Ende wieder an. Um fünf wurden die Damen geweckt, ein Einzelzimmer hatte hier keine, um fünf, damit die drei Pflegekräfte es schafften, die Pillen, das weiche Weißbrot mit Marmelade, füttern, reinigen, die bettlägerig waren, hatten es sehr schlecht getroffen, lagen den ganzen Tag, lagen sich wund, lagen sich Würmer. Ich stelle mir alle als Nazis vor, hatte eine Pflegerin Toto verraten, dann geht es einfacher, dann kann man sie ein wenig leiden sehen, wenn man sie alle in SS-Uniformen steckt. Aber das half Toto nicht, dieser Kollektivverdacht half doch keinem, sie fühlte sich doch auch nicht schuldig an all dem Schwachsinn, den die Menschen zu ihren Lebzeiten gerade anstellten, die ANDEREN. Warum habt ihr einfach immer weitergemacht, könnten die fragen,

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