Vielen Dank für das Leben
Toto wohnte, hatte nicht an Schönheit gewonnen, mehr Autos, sie schoben sich vierundzwanzig Stunden am Tag im Schrittempo irgendwohin, die Führer der Wagen im Schutz ihrer unzerstörbaren Behausung hupten, schimpften, sie hassten sich, die Straße, das Wetter, das Haus verfiel, die Tür schloss nicht, oft waren blutige Nadeln im Treppenhaus, manchmal Hundekot, Müll, es zog, inzwischen wohnten hier nur noch Menschen, die es in ihren Ländern noch schlechter gehabt hatten. Sie waren die Wanderarbeiter der Zivilisation und hatten es geschafft bis in die schöne Welt an der sechsspurigen Straße, sie hatten eine Heizung und fließendes Wasser und irgendeinen miesen Job, in einem Atomkraftwerk, auf dem Bau, ohne Versicherung, ohne Pausen, egal, alles besser als zu Hause. Die Nachbarn waren laut, viele mit irgendwelchen Traumas aus irgendwelchen Kriegen, das geht aufs Nervensystem, da wurde gestritten, geschrien, geschlagen, das passiert, wenn acht Leute in einem Zimmer wohnen. Toto hatte sich der Wohnung nicht mit besonderer Sorgfalt gewidmet, sie war immer noch leer, weil sie nicht wusste, was sie mit Möbeln und Zimmerpflanzen anstellen sollte. Sauber war es, eine schöne Decke auf dem Bett vor dem Fenster, viele Bücher an den Wänden, Musik, und eine ausufernde Kollektion von Duschzusätzen, es war nicht unangenehm in der Wohnung, und heute würde das Jahr zu Ende gehen. Toto saß auf ihrem Bett und sah auf die Straße. Beton brach unter Regenmassen zusammen, es schien nur noch zu regnen. Es wurde nicht mehr hell, und im Frühling träumte sie vom Herbst. Und vor dem Haus stand Frau Meier in ihrem Rollstuhl im Regen.
Das Ende.
Jedes Jahr gab es in einem der fünfhundert Atomkraftwerke auf der Welt ein Unglück. Vielleicht kann man es so nicht nennen, vielleicht machte das Plutonium nur, wozu es geschaffen ist, so wie die Natur ihre Tsunamis und Erdbeben, ihre Dürren und Kälteperioden produziert und erst durch die Anwesenheit der Menschen zu einem Problem wird.
Nicht für das Plutonium.
Positiv war, dass, seit sich die Naturereignisse, so war die offizielle Sprachregelung, sich häuften, die Kriegstätigkeit abnahm. Die Länder hatten zu viel mit dem Wiederaufbau zu tun, auch unterschieden sie sich immer weniger voneinander. Es schien, als wollte die Erdbevölkerung geschlossen in mit kabellosem Internetzugang abgedeckten Städten leben, als wollten alle durch die gleichen Läden schlendern, die gleiche Kleidung tragen und Sushi essen. Sie wollten in der Nähe ihrer Träume leben. Wollten sie zumindest sehen können, die eleganten Viertel, wo es Bäume und hervorragend geschultes Sicherheitspersonal gab, ehe sie in ihre Slums zurückkehrten, die schon lange nicht mehr so genannt wurden. Die Weltbevölkerung unterschied sich nicht mehr durch Kontinente oder Glauben, die Dreiklassengesellschaft teilte sich in die in den Villen, die in den billig gebauten Blocks der Vororte, zusammengewachsen zu großen, komplett überbauten Flächen, und die in den Verlierervierteln, die Einwanderer und Arbeitslosen, die in übriggebliebenen Arbeiterwohnungen vom letzten Jahrtausend wohnten, mit unzureichend isolierten Mauern, alten braunen Küchen und eingeschlagenen Haustüren an Hauptstraßen. Es ging ihnen besser als je zuvor im Verlauf der Geschichte, den Armen, Randständigen, doch leider fehlte ihnen der Vergleich. Da sollte mal einer kommen und sagen: Schau, du Sozialhilfeempfänger, so wie in deinem Viertel sah’s früher nur in Vororten von Kasachstan oder Timbuktu aus, aber du hast eine medizinische Grundversorgung, wenn du lange genug in der Poliklinik warten kannst, wenn du überlebst, in diesem Wartesaal mit deiner Stichverletzung, dann wirst du versorgt, oder was von dir übrig ist, das wird zusammengetackert, und dann gehst du heim, in dein Viertel, das sich nicht im Geringsten unterscheidet von all den Vierteln für deinesgleichen, für die Mehrzahl deiner Brüder und Schwestern. Du hast einen Fernsehapparat und keinen Hunger, das ist doch mal was. Und dann würde man dem Sozialhilfeempfänger auf den Stumpf klopfen, aber der wäre vermutlich uneinsichtig und weiterhin schlecht gelaunt, denn ihm wäre klar, dass er in diesem Leben keinen positiven Ortswechsel mehr erleben wird.
Der Drang der berufstätigen Menschen nach gesunder Ernährung hatte ein absurdes Ausmaß erlangt. Täglich öffnete ein neuer Bio-Supermarkt, durch den wohlhabende Menschen strichen und an Gurken schnupperten. Sie rieben Kräuter,
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