Vielen Dank für das Leben
sich wie eine heiße Wurst um ihren Hals rollte, dachte sie an einen Mann. Er war dünn und schmal und mit Flaum bedeckt, vielleicht war es ja auch ein Hund, aber er lag nah bei ihr und sah sie an, und dann wachte sie auf mit einem abgründigen Gefühl von Verlust. Aber da war auch Frau Meier und weinte, und es tat gut, für jemanden verantwortlich zu sein. Man kann sich selber vergessen, und Toto war erstaunt, dass so wenige um dieses Geheimnis zu wissen schienen. Toto und Frau Meier lebten von wenig. Frau Meiers Rente lag irgendwo, sie konnte sich nicht erinnern, und Toto vergaß, sie zu fragen, Toto erhielt etwas, das früher Sozialhilfe hieß. Frau Meier sah Autos an und lächelte, es hätte Frühling sein müssen, Toto träumte vom Herbst, und es regnete nicht. Frau Meier wollte die Wohnung nicht verlassen; wann immer Toto nach der Morgenwäsche versuchte, ihr straßentaugliche Kleidung anzulegen, versteifte sich ihr Körper, und ihre Augen verdrehten sich in Panik. Vermutlich glaubte sie, Toto wollte sie irgendwo aussetzen. Fast vermeinte Toto einen kleinen Triumph in ihrem Gesicht zu sehen, einen kaum spürbaren Sieg, und den wollte Toto ihr nicht verderben. Toto unterließ alle Bemühungen, die alte Dame zu lüften, sie lag auf ihrem Hochbett und sah zufrieden aus. Das Gesicht sehr weich, die braunen Augen entzündet, denn der untere Wimpernkranz bog sich nach innen, reizte ständig die Augen, was nicht so alles aussetzt in der Auflösung, den Napf mit in Milch eingeweichtem Brot mochte sie nicht hergeben, sie rollte sich um diesen Napf, diese seltsame Angst, verhungern zu müssen, aber sonst war alles in Ordnung, die Stimmung fast überbordend fidel.
Wenn Toto nur ohne diese seltsame Übelkeit gewesen wäre. Die sie immer auf der Straße befiel, sodass sie sich irgendwo festhalten musste, der Boden schien flüssig. Ein paar Monate ging das so, seit Frau Meier auf dem Hochbett wohnte. Da konnte es keinen Zusammenhang geben, zwischen mentalem Wohlgefühl und körperlichem Elend. Frau Meier erwachte jeden Morgen um sechs. Sie schnaufte dann leise, und Toto ging zu ihr. Sie strahlte, dann bekam sie ihren Tee. Toto erzählte von den Ideen der Nacht. Vor dem Erwachen kamen die, zusammen mit einer absurden Kraft.
Wir sollten weggehen, Frau Meier. Wir packen unsere Jacken und Zahnbürsten ein, gehen zum Bahnhof und besteigen einen dieser interessanten internationalen Züge. Wir fahren nach Paris, Frau Meier. Ich beherrsche Französisch nicht, aber ich glaube, das Land liegt uns. Es hat so eine wunderbar gelbe Beleuchtung. Ich werde mir einen Beruf in einer Bäckerei suchen, sie verfügen über exzellente Backwaren in Paris, und unser Ernährungsproblem wäre dadurch auch gelöst. Sie müssen nicht mehr dieses eingeweichte Toastbrot essen, sondern warme frische Croissants. Ich weiß, das klingt jetzt ein wenig nach Heidi, Sie kennen doch Heidi? Das Mädchen auf der Alm. Nun, schauen Sie nicht so streng, ich werde Sie nicht auf eine Alm schieben, es gibt auch zu wenig Anregung dort, Sie wollen doch was sehen. Also ich arbeite in der Bäckerei, und am Abend singe ich in kleinen Clubs. Sie werden uns lieben dort, ich bin mir sicher. Die Franzosen sind reizende Menschen. Sie sind arm, las ich, wir werden nicht auffallen. Frau Meier lächelte. Und Toto wurde schon wieder ein wenig müde. Die Kraft, die sie noch in der Nacht so dringend gespürt hatte, war verflogen, und sie schwitzte bei der Vorstellung, zu packen und mit der alten Dame zu verreisen. Der Atem ging ihr schwer, und sie verließ die Wohnung wie jeden Tag, nachdem Frau Meier den Tee bekommen hatte, um unten eine Zeitung und ein Brötchen zu kaufen. Damit der Kontakt zur Außenwelt nicht verlorenging und sie nicht in der Wohnung mit der Matratze verwachsen würde. Es kam ja auch kein Postbote, über den man einen Kontakt hätte herstellen können, fast meinte Toto, ihn im Hausflur zu hören, sich verbergend hinter einem Vorsprung in der Wand. Es steht nicht in meiner Befugnis, murmelte er.
Einmal hatte Toto den Postboten gesehen, sie hatte eine Abmahnung eines Abmahnanwalts bekommen, der zweitausend Euro dafür verlangte, dass Toto den geschützten Markenbegriff Toto verwendete. Toto hatte auf das Ansinnen nicht reagiert und war erfreut über das große Vergnügen, das Besitzlosigkeit in selteneren Fällen schenken konnte. Man musste sich bewegen und reinlich halten, man durfte sich nicht aufgeben, hieß es doch immer in Agitationsbroschüren, nur die
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