Vielen Dank für das Leben
wo früher Zähne gewesen waren, die Haare, blauschwarz gefärbt, fielen in einem dünnen Fluss über ihren Rücken, der war so armselig. Wie Flügel die Schulterblätter, sie bohrten sich durch Pullover und eine Kittelschürze. Das Paar war ein Paradebeispiel für misslungenes Hassmanagement, die schlechte Laune stand im Raum, wurde von einem dürren, trocknen Körper zum anderen getragen und lud sich dabei auf. Die mussten sich doch auch mal gut gefunden haben, diese Menschen, waren jung, dünn und groß gewesen und hatten sich ineinander erblickt, und sich an Händen haltend gedacht, sich zu mögen wie junge Hunde wäre ausreichend, um die Geschichte zu überleben.
Im Regal standen einige Bücher neben Unterhosen und Konfitüre. Das Kapital. Der Dschungel. Toto nahm sich vor, beide Bücher zu entwenden. Worauf wartest du noch, geh dich waschen, wir sind saubere Menschen. Unsere Eltern waren Antifaschisten. Fügte Thea an. Toto verließ den Raum, schwer an der letzten Information tragend. Die Pumpe stand auf einem Hof mit Kopfsteinpflaster. An dessen Rand auch ein Holzhaus, die Toilette. Daneben die Kadaver alter Autos, Schrott, Plastikteile, ein Wohnwagen. Ausgebrannt. Wichtig, solche Dinge aufzuheben, man weiß ja nie, wozu man sie noch brauchen kann. Es war vielleicht der erste Moment, in dem Toto sich wünschte, mit jemandem, der intelligenter war als er, reden zu können, er wollte gern wissen, ob es eine Aufgabe für ihn gäbe und ob die im Moment darin bestand, diesen traurigen Menschen im Haus das Leben zu erleichtern. Ob er geboren war, um anderen zu helfen, denn dass man sich selber helfen kann, das war ihm nicht klar. Und da, auf diesem Hof, in einem Ort, der sich auflöste, entstand das Große Missverständnis, das Toto von nun an begleiten sollte. Bis zum Ende würde er andere wichtiger nehmen als sich selbst.
Toto hatte die Funktionsweise der Pumpe erforscht, das Wasser roch nach Chlor, er stieg zitternd, seine Füße im Matsch balancierend, in die Arbeitskleidung und kehrte zurück in die Wohnung, die einen hohen Grad an Armut und Verwahrlosung offenbarte.
Iss, sagte Rüdiger, als Toto ins Haus zurückkehrte. Was sich allerdings auf seinem Teller befand, ließ ihn kurz innehalten, es war der gekochte Höhepunkt des Tages. Das schaffe ich jetzt nicht, wusste Toto, ich muss etwas erfinden. Mit unangemessener Trauer in der Stimme, so wie er sich vorstellte, dass Allergiker sprächen, sagte er: Entschuldigt, ich leide an einer Fleischunverträglichkeit. Ich bekomme Asthmaanfälle, wenn ich Fleisch esse oder auch nur berühre. Kurz herrschte Stille im Raum, doch statt der Ohrfeige, die Toto beinahe erwartete, stand die hagere Frau nur auf, warf das Fleisch mit großer Geste in einen Mülleimer und stellte einige Scheiben Mischbrot und Butter auf den Tisch. Dabei trafen sich ihre Blicke. Dermaßen trübe Augen hatte Toto noch nie gesehen, er musste den Blick zu Boden wenden. Unter dem Tischbein steckte ein Buch, vermutlich um den Tisch gerade zu halten. Ein dickes Übersetzungswörterbuch. Nun waren es bereits drei Bücher, die Toto ausgemacht hatte, die Frage war nicht, ob er sie an sich nehmen würde, sondern wann. Erstaunlich, dass keiner sprach. Man hörte das Schmatzen Rüdigers, dessen Bein ununterbrochen zuckte. Von Thea war nur schweres Atmen zu hören, es wäre erstaunlich gewesen, wenn sie Nahrung zu sich genommen hätte.
Das Paar schien sich nicht gerne von Gegenständen zu trennen. Zeitungen lagen in Bündeln auf dem Boden, aus allen Schubladen einer schweren Anrichte lappte, ragte und lumpte es heraus, Untersetzer, Schrauben, Kämme. Eine Fensterscheibe war durch Pappe ersetzt, ein alter Eisenherd wirkte, als ob Tiere in ihm nisteten. Ein hoffentlich mit Eigelb beschmierter Wecker. Es war sieben Uhr dreißig. Toto wartete ab. Ihm war sehr wohl, wenn er sitzen oder stehen konnte und Bilder sammeln, die er ohne Wertung speicherte, ohne Unterscheidung zwischen interessant und langweilig. Er hätte einen Baum stundenlang betrachten können, oder ein Fernsehprogramm. Punkt acht erhob sich Rüdiger und schob einige Kleider zur Seite, unter denen sich ein Fernseher verbarg.
Die erste Nacht im neuen Zuhause verbrachte Toto sitzend auf seiner Matratze. Immer wieder trat er ins Freie, in der Hoffnung, das Licht werde endlich gelöscht. Doch Rüdiger und Thea ließen sich Zeit. Nachdem sie bis zum Sendeschluss ferngesehen hatten, wobei sie eine Flasche Wodka leerten, stritten sie sich. Danach
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