Vielen Dank für das Leben
auf die Beine kam, sie hätte Zeit gebraucht, doch der Mensch hatte entschieden, dass eine kranke Kuh nichts wert ist, und sie wurde durch Rüdiger, der sich kaum auf den Beinen halten konnte, dem doch sein Hirn abhandengekommen war, der kein Mitgefühl in sich trug und keinen Humor, mit einem Bolzenschussgerät getötet. Sie töten so gerne Tiere, weil es unter Strafe steht, Menschen umzubringen, und weil sie doch so gerne auslöschen, am liebsten sich. Wie die Augen blind wurden, im Augenblick des Übergangs von einem beseelten Lebewesen zu einem Fleisch. Seele. Das Wort für den Herzschlag.
Der Abdeckwagen fuhr auf den Hof, eine Winde auf der Ladefläche, eine Eisenkette wurde in den Stall gezogen, der Eisenhaken am Ende der Kette in die Augenhöhle des Tieres gestoßen und sein Leib durch den Stall auf den Laster gezerrt. Wie praktisch der Mensch ist, und wie er zu töten versteht. Das Kalb wurde geschlachtet.
Toto sang für die Hinterbliebenen. Das war ihm ein wenig albern, wie er da stand, am Ende der Futterreihe, die Kühe sahen ihn an, das Melodram Liselotte Herrmann singend, doch der Auftritt vor Publikum sollte sich seit jenem Tag in seine Routine fügen, in die Ordnung der Tage. Vor der Schule das Melken und Füttern, unerhebliche sechs Unterrichtsstunden, zurück in den Stall. Nach der täglichen Arbeit wusch sich Toto mit Bürste und Seife im Hof, er rieb an seiner Haut herum, wusch die Haare auch im Winter, auch bei Schnee, er schrubbte, er schüttete das eiskalte Wasser über sich, wusch seine Kleidung, und in der kalten Jahreszeit, die immer war, trocknete sie nicht und half auch nicht gegen den Geruch von Kuhstall und Futter, von Gülle und Mist, den er nicht mehr wahrnahm, von dem er nur deshalb wusste, weil die Menschen sich die Nase übertrieben zuhielten, wenn er in der Nähe war, und er nie verstand, was sie damit sagen wollten, mit der zu großen Geste.
In Totos Zimmer lagerten Grundnahrungsmittel, er hatte die Erfahrung gemacht, dass es klüger war, sie vor den Eltern zu verbergen, denn ohne diese Vorsichtsmaßnahme gab es für ihn kein Frühstück. Er bereitete sich ein Marmeladenbrot, füllte ein wenig Getreidekaffeepulver in einen Beutel und ging ins Haus. Toto saß im Wohnzimmer, vorsichtig auf einer Zeitung, die er über das alte Sofa gelegt hatte. Er hatte den Raum nicht unbedingt zu einem Kleinod gemacht, doch die Müllberge waren ebenso verschwunden wie die neuen Eltern, die sich hier nicht mehr wohlzufühlen schienen. Weder begegnete Toto ihnen, noch verstand er, warum sie sich das Leben zu etwas Dunklem machten. Rüdiger hatte ihn noch mehrfach geschlagen, es aber irgendwann eingestellt. Vermutlich hatte irgendeine Leitung in seinem trüben Hirn einen Kurzschluss erzeugt, und er hatte verstanden, was er da tat. Er schlug einen Riesen, von dem er nur wusste, dass er über eine rechte Kraft verfügte, und hinter dessen rundem, liebem Gesicht sich vielleicht ein Monster aufhielt. Er hatte Toto angesehen, für Sekunden klar, seine Hand war gesunken, und Angst hatte ihn erfüllt. Der Frau war der tapsige Junge von Beginn an unheimlich gewesen. Sanftmut und Freundlichkeit verunsicherten das Paar, sie waren es nicht gewohnt, sie fühlten sich auf unangenehme Weise unvollkommen, wenn sie Toto um sich hatten. In wachen Augenblicken spürten sie durch ihn die eigene Widerlichkeit. Vielleicht mieden sie seine Anwesenheit, vielleicht hatten sie zu tun. Selten hörte Toto Geräusche aus dem Schlafzimmer. Der Kontakt fand nicht einmal mehr auf das Notwendige reduziert statt. Toto lieferte die Milch ab, verhandelte mit Viehhändlern, verwaltete das Geld, kaufte ein, versuchte nicht, eine Ordnung zu schaffen, wie sollte das gehen, in dieser Hölle. Die beiden Erwachsenen hatten sich zerstört, die Überreste wankten ab und an über den Hof. Das, was sie vor der Ankunft ihres Pflegekindes dazu gebracht hatte, sich zu bewegen, sich zu reinigen, Nahrung aufzunehmen, war eingeschlafen, endlich konnten sie dem, was in ihnen wohnte, ein rechtes Daheim geben. Dem Überdruss ein Haus bauen, eine Mulde im Bett, eine Flasche daneben, ab und an auf den Hof, austreten, aber auch das würden sie mit der Zeit einstellen. Fast friedlich wurden sie, mit dem Entfallen der Zwänge, mitunter redeten sie, im Dunkel, wie Kinder in zugigen Stuben aneinandergeschmiegt.
Nur in der Nacht verließen sie das Schlafzimmer, schauten, was Toto ihnen an Nahrung bereitgestellt hatte, mitunter traten sie auf den Hof, dessen
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