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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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in dem sie offiziell zur Kinderhändlerin wurde, stand bevor, für die billige Hofhilfe würde Frau Hagen frische Lebensmittel erhalten, zum Beispiel den im Land fast unauffindbaren Spargel, und Totos neuer Vater würde für sie im Landkreis nach einem Haus mit Seeanstoß suchen. Im Moment jedoch sah Frau Hagen keinen See, noch nicht mal ein Huhn wankte im fahlen Licht. Sie betraten den Krug. Es wurde nicht still, denn das war es bereits. Hier wurde geraucht und getrunken, als ob es hilfreich wäre bei der Errichtung einer neuen Welt. Vier Männer saßen an drei Tischen und starrten in ihre Biergläser, eine Frau unbestimmten Alters hockte auf einem an der Wand stehenden Stuhl. Beine gespreizt, Gummistiefel an den Füßen, die Kittelschürze, bis an den Bauch gerutscht, gab den Blick auf die Unterhose frei. Wo finde ich die Hubers, fragte Frau Hagen, auf die Unterhose starrend, als ob die eine Antwort wüsste. Einer der Trinker zeigte auf die Frau. Kannst sie gleich mitnehmen, die hängt seit ’ner Stunde da wie tot. Wir wollen keine Toten im Krug, sagte der Wirt, dessen Kopf nun hinter dem Tresen auftauchte. Wir wollen doch keine Toten hier, wo soll man die denn hinräumen. Ich packe keine Toten in meine Kühlkammer. Verfluchter Mist. Der Wirt pflegte, was man Jahre später als Tourettesyndrom bezeichnen würde, eigentlich aber nur bedeutete, dass einer sagt, was er denkt. Die vier Männer sahen weiter ihr Bier an. Toto sah Frau Hagen an, die sah auf die Tote in der Ecke.
    Toto, hilf der Frau, sie ist deine neue Mutter, sagte Frau Hagen und verließ die Kneipe angeekelt. So genau hatte sie das Leben auf dem Land nicht studieren wollen, sie schaute sich um auf der staubigen Straße, da regten sich Zweifel in ihr. Benötigte sie wirklich unbedingt ein Haus mit Seeanstoß?
    Toto hatte seine neue Mutter im Arm. Ihre Beine liefen, während ihr Kopf auf der Brust hing und aus dem Mund Speichel lief. Ein erstaunliches Phänomen. Die Stallrückläufigkeit, die man ansonsten nur Pferden zuschreibt. Totos neues Elternhaus stand neben der eingefallenen Kirche und sähe vermutlich auf einer Schwarzweiß-Postkarte reizend aus. Das versteht man doch nicht, so eine merkwürdige Situation, da fällt doch keinem ein, messerscharfe Rückschlüsse zu ziehen, das gesamte Bild und so weiter, sondern man rettet sich von Sekunde zu Sekunde. So formt sich Geschichte. Toto war müde geworden vom Anblick seiner neuen Mutter, das könnte nur ein rechter Stiefvater ändern, dieses Gefühl, schon wieder auf einem Abstellgleis gelandet zu sein, und wie auf ein ungenanntes Stichwort erschien ein ausgezehrter Mann in blauer Arbeitskleidung vor dem Stall. Vermutlich war das der Stall, denn das längliche Gebäude hatte eine Eingangstür und eine Stalltür. Hallo Rüdiger, rief Frau Hagen. Habt ihr vergessen, dass wir heute kommen? Nein, sagte der Mann, er offenbarte ein sehr schlechtes Gebiss. Kannst ihn grad abgeben.
    Toto begriff mit Verzögerung, dass er gemeint war.
    Die Frau trug er immer noch im Arm, ihre Beine schleiften wie Pfeifenreiniger über den Boden. Es wird nicht leicht werden die nächste Zeit, denn da sind wieder Menschen, die nicht in guter Form erwachsen geworden sind. Die nicht verstanden haben, dass man für sein Leben zuständig ist. Die neuen Eltern wirkten wie Sechzigjährige, sie waren wohl Ende dreißig. Die Frau, Thea, wie er später erfahren sollte, lallte, vielleicht war ihr nicht wohl. Wo soll ich sie hinlegen, fragte Toto. Der Mann sah ihn nicht an, genauso hatte Toto sich den warmen Empfang in einer einfachen herzensguten Bauernfamilie vorgestellt, leg sie neben die Tür, sagte er, und irgendetwas an dem Satz machte ihn offenbar wütend, denn er spuckte auf den Boden. Vielleicht erzürnte ihn die Erwähnung der Tür, wer weiß, was da vorgefallen war. Rüdiger redete kurz mit Frau Hagen, er verschwand im Haus, kam mit einer Plastiktüte zurück, gab sie der Erzieherin. So, Toto. Ich hoffe, du weißt die Chance zu nutzen, in einer normalen Familie aufzuwachsen. Toto atmete schwer, er nickte und verabschiedete sich. Frau Hagen bot ihm nicht an, mit Problemen zu ihr zu kommen, sie verschwand mit eindrucksvoller Geschwindigkeit.
    Toto blickte sich langsam um. Er, der Meister der Langsamkeit, fertigte mit einer Drehung seines Kopfes ein inneres 360-Grad-Foto an. Ein verfallenes Haus, ein hässlicher Hof, nichts, wo sich ein Blick ausruhen konnte, Altmetall, Dreck. Schon wieder so eine Elendsdarstellung, das ist doch

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