Vielen Dank für das Leben
nützte ihm Asien, wenn er nicht einmal die Hauptstadt des sozialistischen Landes bereist hatte?
Denn sie wusste um unsere Sache. Hilft ein absolutes Gehör, perfekt zu singen, oder hilft es nur, an sich selber zu verzweifeln?
Toto fiel auf, dass seine Stimme, wenn er lauter wurde und seine Zunge in den Rachen drückte, klang, als hätte er ein Kissen im Mund. Nahm er die Zunge aus dem Rachen, vibrierte seine Nase, und der Ton klang gesünder. Die Zunge verhinderte wie ein Lappen im Mund, dass Toto die Tonart wechseln konnte. Er gelangte nicht in die Höhen, die er erreichen wollte, und er wurde heiser. Toto versuchte seine Zunge mit einem Löffel nach unten zu pressen, denn er war überzeugt, dass etwas, das den Mundraum zu füllen schien, abgeflacht werden kann, um mehr Raum in der Kehle zu erzeugen. Seine Idee offenbarte eine grundlegende Unkenntnis jeder Stimmphysiologie. Denn tatsächlich füllt gerade das Abflachen der Zunge den Rachenraum mit Zungenmasse. Toto versuchte zu lächeln, während er sang, doch er merkte, dass er dadurch nur einen weit aufgespannten Gaumen, gehobene Wangen unter den Augen, entspannte Wangen an den Backenzähnen und eine ovale Mundöffnung erzeugte und seinen Kiefer nach vorne drückte. So rutschte die Stimme in den Rachen, der Kehlkopf konnte nur sehr gepresste Töne erzeugen, die falsch und unreif klangen. Wenn Toto sein Gesicht nach unten hängen ließ, verdeckten die Lippen die Zähne und die Stimme klang, als käme sie durch etwas Rostiges.
Wenn er seinen Brustkorb vollpumpte und zu viel Luft durch den Kehlkopf presste, wurde die Stimme mächtig und laut, doch es war unmöglich, Feinheiten zu modulieren. Toto fand heraus, dass er nicht mehr Atem zum Singen benötigte als für ein Gespräch, wenn er denn mal mit jemandem redete, der nicht vier Beine hatte. Er lernte mit dem Ausschlussverfahren und ahnte, dass alles unschön klingt, was Schmerzen erzeugt oder Heiserkeit, und dass er sich der Stimme, die er im Träumen hörte, nur annähern konnte, wenn er frei war. Mit einem guten Lehrer hätte Toto vielleicht einige Monate benötigt, um sich seiner Fehler bewusst zu werden, so war es unmöglich, zu einem anerkannten Wohlklang zu gelangen.
Toto sang in einem kristallklaren Sopran und erreichte einen Ton, der noch einen über Mozarts Königin der Nacht in der Zauberflöte lag. Aber woher sollte er das wissen.
Und weiter.
Das erste Mal hatte Toto vor Publikum gesungen, als seine Kuh getötet wurde. Das war vielleicht nach zwei Jahren auf dem Hof, eben als er begann, Routine zu entwickeln, sich in die Gesichter der Tiere einsah und merkte, dass es unsympathische Kühe gab, dumme, eitle, intrigante. Das erstes Kalb hatte er mit auf die Welt gebracht, an den Beinen aus der Mutter gezogen hatte er es und Angst gehabt, weil es von so weit oben auf den Boden gefallen war, feucht und voller Angst. Willkommen in einem kurzen Leben, das beendet werden wird, von Leuten, die dich verzehren werden, danach ausscheiden, ohne dich zu fragen. Sie werden sich nicht erkundigen, ob du vielleicht depressiv bist, in diesem Scheißstall, weil es zu dunkel ist und zu eng, und ob du darum sterben und gefressen werden willst. Sie verfügen über dich, weil sie es so geschrieben haben, in ihren Märchenbüchern, damit sie sagen können: Es steht geschrieben, dass das Tier dem Menschen zu dienen habe und die Frau dem Mann, und das haben sich Männer ausgedacht, die gerne Fleisch fressen und Frauen prügeln, weil es ihnen hilft, mit diesem unwürdigen Leben zurechtzukommen, wo sie doch am Ende in die Hosen machen, da ist es doch ein Moment der Größe, ein Tier töten und das Bein auf seine Brust stellen.
Toto hatte damals das Kalb getrocknet und es dabei kennengelernt. Es gab bereits Tiere, auf die er sich freute jeden Morgen, die anderen waren ihm vertraut, er schlief neben ihnen ein, er heftete das Vakuummelkgerät an ihre Euter, fütterte sie, erfand Familien- und Liebesgeschichten, sie waren ihm sein Daheim, die Tiere, doch zu dem Kalb und seiner Mutter hatte er ein mehr als freundschaftliches Verhältnis. Die Mutter des Kalbes trat später immer zur Seite, wenn Toto sich näherte, und das Kalb drückte sich an ihn, und Toto begriff durch sie, dass man ohne den Kontakt zu Menschen unbeschadet überleben kann, wenn Tiere in der Nähe sind. Als die Mutterkuh erkrankte, pflegte Toto sie, legte ihr kühlende Wickel auf, fütterte sie, doch er konnte nicht verhindern, dass sie zu Boden ging, nicht mehr
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