Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
Vom Netzwerk:
rasenden Erfolg in der Kaninchenwelt, man muss nur lange genug am Ball bleiben.
    Er war ausgelacht worden, sein Gesang war lächerlich, natürlich, selbstverständlich, er wusste doch, wie ordentliche Sänger klingen, mit Stütze und hohem C, und der Tenor ist aber auch ein prachtvoller Mann, finden Sie nicht, Frau Wohlhuber. Aber sicher, diese blonden Locken, und ich liebe die Zauberflöte, das war noch Musik, damals, nicht dieses armselige Zeug heute. Toto hätte nicht einmal sagen können, ob er Musik liebte. Die stehen doch Stunden vor den Türen von Opernhäusern, die Musikliebhaber, um einen Blick nach innen zu bekommen, um die Tenöre zu hören durch Wände und Decken, auch jene, die in Musikclubs als Reinigungskräfte arbeiten und sich auf dem Boden der Umkleideräume von Bandmitgliedern wälzen, aber das war doch nicht er, die Musik liebte er doch nicht, es machte ihn nur glücklich, sie zu erzeugen. Oft wurde es ihm so unendlich, wenn er voller Stimme war, und das war vermutlich Kitsch, ein unendlicher Sänger, ergriffen von sich, den will keiner sehen und hören, da verlässt man den Raum, da bekommt man keinen Studienplatz, und weil Totos Verstand im sozialistischen Teil des Landes geformt worden war, bedeutete keine Ausbildung, dass er kein Sänger werden konnte.
    Das Prozent der Weltbevölkerung, das sich für Kunst interessiert, will Bekanntes wiederfinden. Den vertrauten Strich, den erprobten Ansatz, die Sicherheit, in der sich die Kulturgemeinschaft erkennen kann. Raum für Ungewohntes gibt es im Untergrund, abseits des Kulturmainstreams, nur wusste Toto das nicht, er wusste nichts, er zweifelte an sich und fühlte sich bestätigt in seinem Desinteresse sich selbst gegenüber. Es war Zeit für etwas Neues, Zeit, einen Zufall zu forcieren, der ihn in eine neue Richtung tragen konnte.
    Toto war der Hässlichkeit, die ihn umgab, überdrüssig. Was gingen ihn diese Straßen an, diese Häuser, dieses Backsteinelend, diese achtziger Jahre, von denen Toto nicht wusste, dass sie enden würden, denn bald schon werden die Menschen den Kapitalismus haben, den sie sich erträumten, dann wird es bunte Cafés geben und nicht diese roten Imbissstuben mit scharrenden Stühlen auf Steinböden und Glasfilterkannen. Irgendwann wird das alles aufgeräumt sein und steril, und nur die Einkaufspassagen, die müssen dann gesprengt werden und geflutet das Elend, das die Menschen sich errichtet haben.
    Vor einiger Zeit hatte es im Kernkraftwerk Tschernobyl nahe der Stadt Prypjat, in der Ukrainischen Sowjetrepublik, als Folge einer Kernschmelze und Explosion im Kernreaktor Tschernobyl Block 4, einen unerfreulichen Zwischenfall gegeben. Keiner wusste genau, was das bedeutete, doch man sollte keine Pilze mehr essen. Es war eine unangenehme Energie in den Straßen, als ahnte jeder, dass es gleich losging. Irgendwas. Nichts Gutes. In irgendeine Richtung. Der Endspurt vor dem Jahrtausendwechsel verdichtete die Luft, machte die Menschen schneller, sie irrten fast im Zickzack herum und noch unverständlicher für Toto, der zu langsam für alle war, den sie dauernd traten, den sie nicht wegschieben konnten, weil er zu groß war, nur Wogen schlechter Laune prallten in seinen Rücken. Gehen Sie doch schneller, Mann, ein junger Bankangestellter, vielleicht Versicherung, die Schuhe glänzend wie die Hose, voller Selbstbewusstsein, auf seine Wirkung bedacht, federnd, das Kinn gereckt. Dass die sich nie überlegen, wie schnell ein Laster sie erfassen kann, eine Bombe sie zerreißen, ein Stein auf ihren Kopf, und was bleibt, das wären gut geputzte Schuhe.
    Ein Sänger würde er auch nicht werden. Nichts war er, nichts als ein dicker, alberner junger Mann, der für ein paar Stunden geglaubt hatte, er besäße überraschend ein Talent. Doch da war nur jemand, der nirgendwo hingehörte.
    Er verstand die Depression hier nicht, sie war so anders als die Schwere seiner alten Heimat, die durch die Farbe der Häuser bestimmt wurde, durch die vielen russischen Soldaten und die Zusammensetzung des Volkes, Menschen, die aus Ländern stammten, in denen Melancholie kein Schimpfwort war.
    Heimat hieß nur, über Hässlichkeit nicht verwundert sein. Hier war nichts Vertrautes, hier war das Land der vielen Joghurts und des Jammerns.
    Toto hatte keine Idee und keine Lust, in dieser Stadt zu sein, die ihm nichts mitteilte, außer der umfassenden Sorglosigkeit ihrer Erbauer. Da war keine Vertrautheit entstanden mit den Supermärkten und

Weitere Kostenlose Bücher