Vielen Dank für das Leben
zu machen. Über die Monate war Totos Stimme immer unzuverlässiger geworden. Bei den ersten Unterrichtsstunden hatte Robert ihm gesagt, dass er seine Stimme zerstören wollte, um sie neu und richtig wieder aufzubauen. Der erste Teil war gelungen.
Der Gesang war momentan unwichtig, denn Roberts Krankheit erforderte Totos ganze Aufmerksamkeit. Er versuchte, dem Mann, der ihn dauerte, das Leben so leicht wie möglich zu machen, er holte ihm seinen Eimer, in den er sich gegebenenfalls übergeben konnte, er strich ihm das feuchte Haar aus dem Gesicht, er räumte die Villa auf, Toto war schon wieder komplett mit der neuen Situation verschmolzen, es hätte eine gute Zeit sein können, doch Toto spürte seinen Körper zu schmerzhaft, um wirklich entspannt zu sein. Er bewegte sich meist leicht gekrümmt durch das verwahrloste, leere Haus, das von großer Lieblosigkeit zeugte, und er nahm sich vor, alles zu tun, damit Robert bessere Laune bekam. Toto war nicht wohl, wenn es anderen schlechtging. Er konnte sich nicht wehren gegen das Eindringen ihrer traurigen Stimmung in seinen Organismus.
Totos Zimmer verfügte über mehr Luxus, als er in seiner Situation erwarten konnte, es gab eine Dusche und einen schmalen Blick in den Garten, wenn man sich dicht ans Fenster stellte und durch den Schacht und die Gitterstäbe nach oben schaute. Toto las nicht mehr, schrieb nicht mehr. Er sang kaum noch, und es war, als sei die Sonne untergegangen. Er schlich morgens in die Küche, trank mit Robert Tee, fragte, ob er Besorgungen machen solle, reinigte das Haus, während Robert auf dem Sofa lag. Toto hatte sich in einem Supermarkt Nieren angesehen. Keine Große Sache. Er hatte Robert daraufhin mitgeteilt, dass er bei einer entsprechenden Verträglichkeit seine Niere gerne zur Verfügung stellen wollte. Robert hatte geweint.
Freundschaft jedoch war zwischen ihnen nicht entstanden. Toto war so an sein Schweigen gewöhnt, an sein Vegetieren mit sich, dass es ihm unmöglich war, sich zu verlassen. Das Zusammenleben der beiden glich etwas, das in einem Altersheim hätte stattfinden können. Wenn Toto in seinem Zimmer saß, hörte er Robert husten und schlurfen, lag er auf seinem Bett, hörte er ihn singen. In den langen Pausen, in denen sich Toto von seiner Erschöpfung erholte, fragte er sich, ob es ihm mit einem Lebensplan, einer Ausbildung, einem Beruf als Friseuse bessergegangen wäre. Bei dem Wort Friseuse knackte es in Totos Kopf. Das hörte er nicht, denn es knackte ständig irgendwo in seinem Körper. Seine Ähnlichkeit mit einem dicken Engel nahm dank dem Mangel des einen oder dem Überschuss des anderen Hormons erstaunliche Ausmaße an.
Die Schmerzen waren nicht akut, nicht stechend, nichts, was einen brüllend zu Boden sinken macht, sie hätten sich am besten mit einem dauernden schlechten Ton beschreiben lassen, der jede Bewegung bewusst und unangenehm begleitet. Toto hatte eine mittelstark ausgeprägte Osteoporose, vermutlich war unterdessen noch ein Gelenkrheuma dazugekommen, denn die letzte Zeit war feucht gewesen. Toto war erschöpft von der anhaltenden Einsamkeit, aber woher sollte er das ohne Arztbesuch wissen, woher sollte er wissen, dass man sich anders fühlen kann, ihm fehlte der Vergleich.
Wenn Toto nicht um Robert beschäftigt war, lag er auf dem Bett und versuchte vergebens eine Position zu finden, in der er sich nicht spürte. Der Raum war sauber tapeziert, Spannteppich am Boden, Schichtholzmöbel, die an einen Ort gemahnten, wo ein extrem unglücklicher Jugendlicher sich aufgehalten hat, bevor er sich mit seinem Schlüpfer erhängte. Toto wurde immer sehr schwer, wenn er sich den armen erhängten Jugendlichen vorstellte.
Es war vielleicht Vormittag, der Schacht, der im Souterrain als Fenster diente, ließ keine genaueren Ortungen zu. Oben wurden Möbel gerückt, Leihpersonal trampelte durch den Tanzsaal, es würde ein Fest stattfinden, eins von denen, die Robert alle Monate gab, um endlich einmal für ein paar Stunden im Mittelpunkt zu stehen. Totos Kopf knackte, vielleicht hört ja heute alles auf, und so endet eben, was sich den Vorgaben der Gesellschaft nicht unterordnet, als zwischengeschlechtlicher Freak in einem Souterrain.
Frau Professor Konstantin
stand vor dem Tor zu Roberts Villa und brachte sich in einen erregten Zustand.
Dazu betrachtete sie eingehend das weiße Metallgitter mit den vergoldeten Spitzen. Sie würde entgegen ihrer Veranlagung heute Abend reden müssen, lächeln müssen, und das
Weitere Kostenlose Bücher