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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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verlangte ihre volle Aufmerksamkeit. Verlor sie ihre Konzentration nur kurz, griff ihr Tourette-Syndrom Raum, und sie begann in leichter Form ihren Gesprächspartner zu beleidigen oder ihn schwallartig mit albernen Bemerkungen zu verstören. Sie betrat die Villa, ein Mietbutler nahm ihr den Mantel ab, im Saal erklang die Sonate für Violine und Cembalo h-Moll, BWV 1014, in einer furchtbaren Interpretation.
    Herr Robert hatte geladen, smart casual wurde auf den Einladungskarten bestimmt eingefordert. Die Frauen der besseren Gesellschaft trugen Kleider, die an ungezügelte Vorhänge gemahnten, es blitzten geschwollene Füße aus unpassenden Pumps, die Herren waren in legere rote oder gelbe Cordhosen und Slippern wunderbar gekleidet. Ein blaues Sakko machte den gepflegt unkomplizierten Stil vollkommen. Die meisten der Anwesenden hatten Berufe, die ihnen gemeinsam mit dem Vermögen vererbt worden waren, sie saßen in Ausschüssen und Vorständen, die Damen machten, wenn sie gerade nicht ihr Medienimperium beaufsichtigten, Charity. Man muss der Welt etwas zurückgeben, und wir tragen Verantwortung. Sie alle standen im Salon, prosteten sich zu und waren unsterblich. Eine ausschließlich weiße Oberschicht; weder durch Heirat mit Ausländern noch offen gelebte Homosexualität wurde ihre homogene Ausstrahlung von selbstzufriedener Überlegenheit getrübt, jeder hatte einen zweistelligen Millionenbetrag auf dem Konto, der ihm das Gefühl gab, unantastbar zu sein. Prost, wir wissen, was smart casual bedeutet, wir haben zwar auch so unsere Ausscheidungen, aber die sind über jeden Zweifel erhaben.
    Zwar würde das Ende ihres Lebens für alle eine unangenehme Überraschung bereithalten, aber darum wussten sie nicht, darum wusste keiner, gütigerweise.
    Der Herr dort, Vorstandsmitglied eines Pharmakonzerns, CEO aus Leidenschaft, der seine totenkopfbestickten Samtslipper mit Grandezza zu tragen wusste, dessen reiner goldgeknöpfter Wollblazer in harmonischem Dialog stand mit seinem roséfarbenen Hemd, beide aus London, Himmel, er kann sich den Namen seines Schneiders nie merken, obgleich der schon seit zwanzig Jahren für ihn arbeitet, sein Gesicht glänzte schwach und gut genährt, deutlich, dass die Haut gepflegt wurde. Die erlesenen Nahrungsmittel, das gute Licht am Meer und das Lifting hatten ihm ein wenig den Ausdruck eines Hamsters aufs Gesicht gezaubert, vermutlich war das gewollt, sie wirkten so drollig frisch, diese Bäckchen, und natürlich hatte er eine Geliebte, die er lustlos mit Zuhilfenahme potenzsteigernder Mittel begattete, doch nun, nach zehn Jahren, fiel es ihm schwer, sich zu erinnern, warum er die Geschichte überhaupt begonnen hatte, da die Geliebte doch unterdessen seiner Gattin fatal ähnelte. Professor Konstantin schaute sich weiter um. Ihr Blick parkte bei Robert, hervorragender Kandidat für einen gutentwickelten Prostatatumor. Die Chemotherapie schlüge gut an, er müsste sich viel übergeben und verlöre an die vierzig Kilo. Nach einem Jahr, da er sich mit einer philippinischen Pflegerin in seiner abstoßenden Villa erholte, kam der Rückschlag, Metastasen in Nieren und Knochen sowie in der Bauchspeicheldrüse. Er wurde dann sehr schnell bettlägerig, ließ unter sich, durchlitt Phasen großer Unsicherheit, Luftknappheit und Angst, einer verwirrten, bodenlosen Angst, in einem Ausmaß, das er nur als Kind erlebt hatte, wenn er an den Tod dachte, der wie ein Monster unter seinem Bett auf ihn lauerte. Es wurden große Dosen Morphin verabreicht, unterdessen von einer ausgebildeten Pflegefachkraft, die er jedoch kaum mehr wahrnahm.
    Der bald einsetzenden Atemknappheit war Panik verbunden, die durch Morphin alleine nicht zu therapieren war, darum verabreichte die Schwester zusätzlich Lorazepam und Midazolam, sein Körper war wundgelegen, da war kaum mehr Fleisch zwischen Knochen und Laken, das dünne alte Fleisch, die traurige Haut, die qualvolle Ausscheidung, und dann der Death Rattle, die geräuschvolle Atmung in den letzten Stunden oder Tagen des Lebens. Er war nicht mehr in der Lage, Speichel reflektorisch zu schlucken oder Schleim aus der Trachea abzuhusten. Durch den Verlust von Schluck- und Hustenreflex kommt es zur Ansammlung der Sekretion im Oropharynx, in der Trachea und in den Bronchien. Ein abstoßendes Geräusch, das selbst einer erfahrenen Schwester immer wieder zusetzt, das sie nervös macht und wünschen lässt, die Patienten würden endlich gehen. Doch sie gehen nicht. Wie Karpfen liegen

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