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Vielen Dank für das Leben

Vielen Dank für das Leben

Titel: Vielen Dank für das Leben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S Berg
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jungen, mountainbikebesessenen Schauspielern dargestellt. Die große Katastrophe zur Jahrtausendwende hatte sich als eine Zeitungsente herausgestellt, alle hatten überlebt, mehr oder weniger.
    Nach der Kündigung seiner Wohnung durfte Toto im Hinterraum des chinesischen Restaurants übernachten und verfiel zusehends. Mit dem Verlust seines Balkons und seiner Konzerte fehlte ihm der Grund, sich in Bewegung zu halten. Toto verlangsamte sich in der Hoffnung, irgendwann ein Tempo zu finden, dass er nicht mehr spürte, und eines Tages stand er still. Es war ihm nicht mehr möglich, die Hand zu heben. Er lag auf einem Holzbettgestell, auf einem etwas feuchten Steinfußboden. In einem Spind hing die Arbeitskleidung der Köche, und ein Waschbecken mit gelben Ablagerungen war auch vorhanden. Außer einem Fenster verfügte der Raum über alle Annehmlichkeiten für ein friedliches Sterben. Toto hatte auf dem Gestell gelegen und gewartet, dass eine Änderung eintrat. Die erfolgte in Gestalt des chinesischen Restaurantbesitzers. Er hatte vermeint, eine Ähnlichkeit zwischen Toto und diversen Buddhadarstellungen wahrzunehmen, und in Hoffnung auf ein erfreuliches nächstes Leben geduldet, dass Toto im Hinterzimmer lag, und ihn sogar mit Nahrung versorgt. Seine Frau, die über eine stark erotische Beziehung zu Geld verfügte, wies ihn jedoch darauf hin, dass Buddha asiatischer Herkunft war, was man von Toto nicht behaupten könne. Im Übrigen hätten sie einen Monat hervorragende Karma-Arbeit geleistet, Zeit für Toto zu gehen.
    Es war ein milder Abend gewesen, und Toto war nicht erfroren, keine Idee entstand da in ihm, nur starren konnte er, auf die Pfützen vor seinen Füßen und auf das Theater der Nacht, die Wurstpellen, die aufgekratzte Stimmung, die damit einherging, etwas Verruchtes zu tun, der Angstschweiß, die Erbärmlichkeit, nichts Erfreuliches gab es da, nichts, was nicht schon lange die Unschuld verloren hatte. Ab und an warf einer ein Geldstück vor Totos Füße, der sich nicht danach streckte, denn er war über den Rand gekippt. Diese fünf Zentimeter, die einen vor dem Verfall bewahren, die einen davor schützen, in die Hose zu nässen, sich hinzusetzen und die Umwelt nur noch wahrzunehmen wie einen Waschraum voll Luftfeuchtigkeit. Eine Sekunde Spannungsverlust, und schon sitzt du auf dem Planeten der Affen.
    Toto sah die Passanten an, und er war unfähig, sie als seiner Spezies zugehörig zu identifizieren. Er hatte die Worte verloren, in denen sie sich verständigten, und ihre Rituale ohnehin nie beherrscht. Die kleinen Abläufe, die er sich eingerichtet hatte und die es nun nicht mehr gab, hatten es ihm ermöglicht, mit den Außerirdischen zu verkehren, unter ihnen zu leben mit minimalem Kontakt.
    Zu Kindern hätte er früher gerne Kontakt aufgenommen, zu denen, die noch nicht schlecht rochen, bei denen alle unangenehmen Anlagen unterentwickelt waren, die Feigheit noch vertretbar, Kinder hatte er gerne, sie waren so verloren wie er, in ihrer unreflektierten Art des Ausgeliefertseins, doch sie mochten ihn nicht. Sie hatten Angst vor ihm, wenn sie allein waren, lachten ihn aus, in der Gruppe. Toto, der auf der Straße saß, keine Wohnung hatte und keinen Menschen. Die benötigt man, wenn man schwach ist, die vielbeschriebenen, vielbesungenen, vielbedichteten Freunde, die Familie, den Liebsten, alles Worte, mit denen Toto nichts verband. Und sehr kalt wird es, wenn man noch nicht einmal weiß, dass das, was man vermisst, ein Mensch ist, der einen hält. Gestorben wäre er da gerne, auf der Straße, nicht weil er das Gefühl gehabt hätte, das Leben sei ungebührlich hart zu ihm, er war klug, und sein Gehirn funktionierte nicht in solchen Dimensionen, er wusste, dass es keine Person gab, die Leben heißt und Glück verteilt, er wusste, es war Zufall, dass er auf der Welt war, und dieses Auf-der-Welt-Sein hatte keine Funktion, außer sich sinnlos zu vermehren, Kriege zu führen, die Erde restlos mit seiner Rasse zu bevölkern.
    Kann ich Ihnen helfen? Eine grauhaarige Frau mit Tretroller in der Hand beugte sich mit anteilnehmendem Lächeln zu Toto. In dem Gesicht der Dame sah man den wahren Grund der menschlichen Anteilnahme, es war ein kleiner Orgasmus, der dem Helfer geschenkt wurde, ein kurzer Moment der eindeutigen Überlegenheit, Gefühl der Gottgleichheit, die ihm für seine uneigennützige Hilfe beschert wurde. Das Gesicht der Frau war von roten Adern überzogen, und Toto entschied sich gegen das Schicksal. Er

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