Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
Sie stand mit beiden Beinen im Leben und ließ sich nicht aus der Fassung bringen. Eigentlich war sie zu stark für mich. Aber schafft die Natur nicht immer ein Gleichgewicht? Was hatte ich, was ich ihr entgegenbringen konnte?
Die Pizza kam. Jenny aß hemmungslos mit den Fingern. Ich tat ihr nach, um nicht spießig zu wirken. Eben ein Stück Studentenleben.
Wie viel Spaß mussten die anderen Studenten mir ihr gehabt haben? Wie viele Männer mochten sich für sie interessiert haben?
An Spontanität mangelte es mir eigentlich auch nicht. Ich bin sportlich, neugierig und etwas verrückt. Aber zu der Zeit war ich etwas ausgelaugt. Das hatte meine Spontanität lahmgelegt.
„Du brauchst mal frische Luft“, hörte ich sie sagen, und sie zeigte in den sternenklaren Himmel. Ich sah hoch und wusste, dass sie recht hatte.
„Du steigst zu sehr in deine Arbeit ein.“
„Ja“, sagte ich, „dieser Chris ...“
„Stop!“, sagte sie schnell. „Nicht jetzt. Nicht hier. Nicht heute Abend. Nicht heute Nacht.“
Heute Nacht?? Wow! Und schon waren meine Gedanken wie weggeblasen.
Die Pizza war köstlich, die Decken waren warm und die Cola aufmunternd. Wir tranken beide nichts Alkoholisches.
„Habe Clapton dabei“, sagte sie plötzlich.
Wie? Clapton?
„Na, Eric Clapton! DVD unplugged. CD, alles. Wie wär's mit ´nem Clapton-Abend?“
Ich kannte Eric Clapton eigentlich nur von Erzählungen anderer. (Mensch, musste mal hören und so). Aber musikalisch konnte ich ihn nicht einordnen. Ich bin wohl zu jung.
Sie sagte: „Hat mal seine Tochter verloren. Hat Tears In Heaven für sie komponiert. Ein großartiges Lied.“
Ja, dachte ich, dann sind wir wieder beim Thema: Der eine verliert seine Tochter, der andere seinen Vater. Dann prügeln wir die Toten eben in uns hinein. Auch durch Lieder.
„Kenn' ich nicht näher“, sagte ich, „aber ich bin für alles offen. Bei dir oder bei mir?“, fragte ich und sah uns über die Musik hinaus schon andere Dinge tun. Dann erst merkte ich, wie plump das geklungen hatte, denn sie sah mich abgestraft an.
„Na, bei dir!“, sagte sie dann lachend. „Bei mir steht die Bude Kopf. Da würde ich nicht mal 'ne Maus reinlassen.“
Jetzt musste ich auch lachen und sagte: „Okay, bei mir.“
Meine Bude verließ ich immer aufgeräumt. Ich brauchte mich nicht zu schämen.
Es ist schon komisch, dass Menschen, die in der Arbeit sehr sortiert und aufgeräumt sind, zu Hause oft das Chaos um sich haben. Genauso umgedreht. Das ist wohl das Gleichgewicht der Beschaffenheit.
Also, wenn ich schon nicht durch Erfolg in meiner Arbeit glänzen konnte, so schaffte ich es an diesem Abend durch meine Wohnung. Sie war im jugendlichen Charme mit leichter Tendenz zum Retro-Stil eingerichtet. Ich hatte kleine Kunstwerke mit Hilfe von Schablonen an prägnante Wände gemalt und mit wenig Mobiliar viel Atmosphäre geschaffen. Ein Ausgleich zu meiner chaotischen und beengten Arbeitswelt. Ich brauchte eine Oase der Ruhe.
Sollte ich Jenny gleich die ganze Wohnung zeigen? Und damit auch das Schlafzimmer? Nein, das sollte und wollte ich nicht. Was auch immer sich ergeben würde, ich wollte es einen natürlichen Gang gehen lassen.
Also wurde das Wohnzimmer zu unserem Tummelplatz von Konzert und Kuschelei.
Wir kamen uns natürlich während der Musik näher. So nah, dass es in eine wahre Freude hätte enden können. Die Traumfrau an meiner Seite, unsere Lippen aufeinander, unsere Hände woanders. Ich mache es kurz:
Ich erlitt eine Erektionsstörung. Der Abend war kaputt. Traumfrau sucht neuen Traummann.
Ich hörte Jenny aus weiter Ferne reden, das sei doch nicht so schlimm und bla, bla, bla. Sie ging heim, und in meinem linken Ohr begann es entsetzlich laut zu piepen. Sex ade, willkommen Tinnitus!
Wie sollte ich jetzt den Rest meines Lebens auf dieser Erde verbringen? Zur Arbeit konnte ich unmöglich noch gehen, dabei war es erst Donnerstag!
Es war ein schwarzer Freitag, als ich die Augen aufschlug. Es regnete, überall, draußen und meinem Herzen. Würde ich Jenny begegnen? Was würde sie sagen, wenn sie mich sieht? Dass sie es heraus plaudern würde, glaubte ich nicht. Doch die Angst vor einem Zusammentreffen mit ihr war so riesengroß, dass ich diese Beziehung am liebsten abgehakt hätte. Vielleicht sollte ich es doch mit einer männlichen Puppe auf meinem Beifahrersitz versuchen. Man weiß ja nie, wie man darauf reagiert.
Und Dr. Brisco kam heute auch noch zurück!
Als ich, wie immer, zu Mittag in den Gruppenessraum kam,
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