Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
saß Jenny mit Josh, unserem Mega-Pfleger für alle Stationen (und Fälle?), in einer Ecke und unterhielt sich lebhaft mit ihm. Zu lebhaft, wie mir erschien. Er sah auch wirklich gut aus. Cool, in seinem Pflegerdress. Es verhüllte nicht seine durchtrainierte Figur. Seine guten dreißig Jahre gaben ihm zusätzliche Männlichkeit und irgendwie viel, viel Erfahrung.
Na ja, dachte ich, der hat seine Erektionsstörung längst hinter sich.
Ich schämte mich immer noch, aber ich musste das Eis zwischen Jenny und mir wieder brechen. Sonst würde unser beider Arbeitsplatz zu einem Ort der Unerträglichkeit. Ich holte mir Dr. Briscos Worte ins Gedächtnis: Wenn Sie es hier nicht schaffen, wird Ihnen in der nächsten Klinik das gleiche wieder begegnen. So war der Kern seiner Aussage gewesen.
Jenny brach das Eis sofort, als sie mich sah. „Bob!“, rief sie, wie immer. „Komm, setz dich zu uns.“
Ich kam ihrem Wunsch zögernd nach, mit einem Tablett voller Reis und Hähnchen, was ich jetzt nicht mehr essen wollte. Sie zeigte mit einer Hand auf einen Stuhl neben sich, wie bei einem Hund, dem man „Platz“ befiehlt.
So viel Nähe hatte ich mir bei unserem ersten Wiedersehen nicht vorgestellt.
„Stell dir vor, was Josh gerade erzählt hat.“
Er würde mit dir schlafen, dachte ich, ohne Erektionsstörung, versprochen.
„Chris schreibt in sein Buch hinein. Täglich! Ist das nicht großartig?“ Sie sah mich erwartungsvoll an.
Ich aber dachte an Dr. Brisco, der ausdrücklich verboten hatte, Chris ein Buch zu geben. Diesmal war Jenny die, die sich gerade Prügel an Land zog. Wie konnte man sich auch nur den Vorschriften widersetzen?
Ich sagte: „Ja, klingt gut“, dachte aber, was wird der Knabe jetzt wieder anzetteln. Gut, dass er nicht mehr meiner Aufsicht und Verantwortung unterlag.
Ich fragte Josh: „Wie geht’s ihm?“
„Prima“, sagte Josh und trank Kaffee. „Er ist ganz brav. Man sollte gar nicht glauben, dass hier eine Psychiatrie ist. Er wirkt wie ein ganz normaler Junge. Sauber, ordentlich und folgsam. Hofft wohl auf baldige Begnadigung oder Bewährung, dass er wieder zu Ihnen kann.“
Das traf mich wie ein Schlag! Eine Bewährung? Ich spürte, wie Jenny mich ansah. Wir dachten das gleiche und verspürten eine große Not, alleine miteinander reden zu müssen. Josh fügte sich. Er sah unsere Unruhe und ging wieder auf Station.
Ich setzte mich sofort auf Joshs Platz, um Jenny beim Gespräch anzuschauen. Unser nächtliches Problem war wie weggeblasen.
„Denkst du das gleiche wie ich?“, fragte ich sie.
„Ich glaube schon.“
„Dann fang an.“
„Er bereitet die Geburt seines Vaters in sich vor. Ein Vater, der 23 Jahre ein guter Mensch war. Wenn er sich weiterhin so gut benimmt, kommt er zwangsläufig hier zurück auf diese Station. Danach in die Offene, und mit 18 ist er draußen!“
Wir schwiegen. Wir würden unseren alten Chris nicht wiedersehen. Und Brisco wird sagen: „Sehen Sie, es war der richtige Weg, ihn auf Station drei zu bringen.“
Er würde den erneuten Ausbruch der Krankheit in genau etwas über elf Jahren wahrscheinlich nicht mehr mitbekommen.
Was, wenn Chris in den nächsten Jahren tatsächlich als therapiert, geheilt oder medikamentös eingestellt entlassen würde? Wir würden eine tickende Zeitbombe in die Welt schicken.
Doch das, was mir derzeit am meisten Sorgen machte, war der Tag, an dem man ihn von der Isolierstation entlassen und wieder in meine Station eingliedern würde. Jenny und ich würden die Zeitbombe hegen und pflegen und dabei vor Sorge vor die Hunde gehen.
„Wir müssen Brisco unbedingt von unserer Vermutung berichten.“
Kaum hatte ich den Namen Brisco ausgesprochen, da kam er schon in den Essraum. Sein Blick war nicht freundlich. Kein Wunder, nachdem er einen Stapel von Beschwerden über mich und meinen Bericht von Chris' blutigem Vorfall bekommen hatte. Eine ergänzende Darstellung über die Fotos seines Körpers und diese Geburt hatte ich noch nicht verfasst. Von daher würden alle Unterlagen über mich recht unprofessionell auf ihn wirken.
„Bob“, sagte er, wie immer, „kommen Sie doch bitte in mein Büro.“ Er grüßte Jenny kurz und ging wieder.
„Oh, oh“, sagte Jenny und erhob sich.
„Darf ich dich nach meiner Kündigung mal an Dr. Brisco empfehlen? Vielleicht findest du dann Worte, die mich einigermaßen gut aussehen lassen. So für's Zeugnis. Rette, was zu retten ist!“
Jenny lachte. „So schlimm wird’s schon nicht werden. Warte erst mal, was er dir
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