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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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weiß. Nur ich, ich habe bunte Hosen und einen roten Pulli an. Es würde mich nicht wundern, wenn ich jetzt nur noch Milchreis bekäme. Ha, ha!
Weiß ist sauber. Ich fühle mich sauber. Alle sind nett.
Ich bin müde. Ich bin viel allein. Alles ist still. Gut, dass ich schreiben darf.
Was soll man schreiben, wenn man nichts erlebt?
Ich vermisse Bob. Aber ich darf nicht mehr Bob sagen. Ich glaube, Bob ist böse auf mich. Ich weiß aber nicht warum. Dabei habe ich alles genauso gemacht, wie er es sich gewünscht hat. Ich helfe immer wo ich kann. Ich helfe allen. Auch Henry. Ich sehe Henry im Hof spazieren gehen. Es geht ihm gut. Dann habe ich alles richtig gemacht.
Ich darf nicht raus. Ich darf nur Pillen schlucken. Manchmal kommt Judith mit der Spritze. Dann hat sie gemerkt, dass ich meine Pillen nicht herunterschlucke.
Ich habe angefangen, Musiknoten zu schreiben. Aber das ist langweilig. Man kann damit nichts großes machen. Man kann sie nicht gebrauchen.
Wenn ich so rumschaue, stelle ich mir vor, dass die Spritzen von Judith mit Alkohol gefüllt wären. Dann spiele ich Brad, wie er besoffen war. Ich stelle mir vor, wie ich lalle und onaniere. Dann ist noch mehr weiß in meinem Zimmer. Schade, ich habe keinen, den ich prügeln kann. Dann wäre das Spiel perfekt. Ob ich Judith prügeln könnte oder Josh? Ob sie das Spiel verstehen würden? Wohl kaum. Hier hat keiner Fantasie. Aber Pillen. Für alles und jedes.
Noch zwei Tage, dann ist die Langeweile vorbei. Dann bin ich nicht mehr allein. Meine Stimme ist schon dunkler geworden. Meine Haare sind ja schon immer dunkel. Leider wächst mir noch kein Bart. Zu schade. Dann würden aber alle gucken! Ich würde morgens duschen und danach rasieren! Nass natürlich. So wie Brad. Dann würde ich mich für Judith interessieren, ohne dass es komisch wäre. Als Mann darf man das. Außerdem weiß ich ja schon Bescheid, wie man‘s macht. 
    Hallo? Ich glaube, da ruft mich jemand.
     

Hier bricht die Eintragung ab. Wer hat Hallo gerufen? Etwa sein Vater? Jemand vom Personal konnte es nicht gewesen sein, denn die Türen waren schalldicht verschlossen. Und wenn jemand eintritt, würde Chris es bemerkt haben. Es muss also sein Vater gewesen sein.
Jetzt war ich irritiert. Warum hatte Jenny so ein Theater um das Buch gemacht? Was stand da schon Schlimmes drin. Ich blätterte es weiter. Keine Eintragungen mehr. Aus, vorbei.
Jenny war weg, Chris hatte nichts mehr zu sagen, und ich saß mit einem defekten Schädel alleine in meiner Wohnung, die nicht mehr meine Wohnung war.
Ich sah mich um. Alles erschien mir fremd. Ich sah auf meine Tasche, die das Leben meiner letzten Monate enthielt. Sie würde ausreichen für mein weiteres Leben. Was sollte ich noch groß vorhaben? Meine Familie war binnen weniger Wochen fast ausgelöscht, mein Job war wohl futsch, meine Freundin war futsch, und auf mein Konto wollte ich schon gar nicht mehr sehen. Alles, was ich noch besaß, war dieses verdammte Buch von Chris. Er war alles, was mir geblieben war – Chris.
Ich schlief mit dem Buch an meinem Herzen auf dem Sofa in voller Kleidung ein. Nur wir zwei. Nur wir zwei waren uns geblieben.
    *
    Das Telefon klingelte, ich sprang erschrocken auf. Das Buch fiel auf den Boden.
Ich sah auf das Buch, dann zum Telefon.
„Hallo, hier ist Bob Koman. Kann nicht dran. Sprich du“, hörte ich meine eigene Stimme vom Band sprechen. Es piepste. Das Band lief und wollte aufzeichnen. Keiner sprach drauf. Aufgelegt.
Man hatte wohl keine Lust, mit meiner virtuellen Stimme zu sprechen.
Ich ließ mich wieder aufs Sofa zurückfallen und schaltete den Fernseher ein. Mehr als ein Comicsender ging nicht in meinen Verstand hinein.
Als das Telefon erneut klingelte, war ich schneller.
„Bob?“, fragte eine fremde Männerstimme.
Ich sagte: „Ja“, konnte mir aber keinen Reim darauf machen, wer das ein konnte.
„Hier ist Ben.“ Ben? Kenn‘ ich nicht.
„Ben?“, fragte ich.
„Ja, der Bruder von Jenny. Ich bin’s, Ben. Wir haben doch schon mal telefoniert.“ Ja? Haben wir das?
„Okay“, sagte ich. „Was gibt’s, Ben?“
„Ich rufe wegen Jenny an.“
„Jenny“, wiederholte ich.
„Genau. Sie hat dich vom Krankenhaus abgeholt.“ Genau, das hatte sie. Daran konnte ich mich erinnern.
Ben redete weiter. „Was ist denn bei euch passiert? Sie war völlig verstört.“
Ich sagte: „Nichts“, denn ich konnte mich an nichts mehr weiter erinnern. Zumindest nichts, was mir schlimm erschien.
„Weißt du überhaupt, was los

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