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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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konnte ich kein Wort verstehen. Also wartete ich. Die Krankenschwester telefonierte. Ich wartete. Es passierte nichts. Dann kam ein Arzt herein und notierte sich meine Werte auf den Geräten. Dann fühlte er meinen ganzen Hals ab und lächelte mich an. Er kontrollierte meine Pupillen mit einer kleinen Taschenlampe und lächelte wieder. Das war doch ein schönes Spiel. Als er meinen Pyjama öffnete, hörte das Spiel für mich auf. Ich sah auf meiner Brust riesige Narben. Ich musste in einem Versuchslabor gelandet sein und David weinte, weil man mir meine ganzen Innereien geraubt hatte. Ein Albtraum wurde zur Realität, und ich schrie, was das Zeug hielt. 
    Kevin war bei einem Unfall tödlich verunglückt. Ein Angetrunkener war auf seine Fahrbahn gekommen und hatte ihn frontal erwischt. Kevin war bis zur Unkenntlichkeit hingerichtet worden. Ebenso seine derzeitige Freundin neben ihm.
Er befand sich gerade auf dem Weg zu meinem Vater, um ihm seine neue Freundin vorzustellen. Etwas Ernstes, wie er David zuvor mitgeteilt hatte. War Kevin doch noch solide geworden? Wir werden es nie mehr herausfinden.
Daraufhin rief mein Vater bei mir an. Ich machte mich sofort auf den Weg zu ihm und raste in ein Stauende, weil meine Gedanken vollkommen abwesend waren. Ein herannahender LKW hinter mir sah das Stauende ebenfalls zu spät und schob mich auf den vorderen LKW. Wie ein weiches Sandwichbrot quetsche es meinen Wagen zusammen. Ich bekam von dem Ausmaß des Unfalls nichts mit. War schon beim ersten Aufprall bewusstlos. Man musste mich mit Spezialgeräten aus dem Wagen herausschneiden. Wie durch ein Wunder blieben meine Arme und Beine unverletzt. Dafür hatte es meinen Oberkörper durch den Airbag ziemlich zerquetscht. Da wird eine Aufprallhilfe zur fast tödlichen Falle. Aber hätte ich keinen Airbag gehabt, wäre ich sofort tot gewesen, sagte mein Arzt. Allerdings hatte mein Kopf durch den zweifachen Aufprall eine Menge mitbekommen. Sämtliche Sinnesleitungen waren mir geplatzt und bluteten mein Gehirn voll. Man saugte das Blut ab und legte mich in ein künstliches Koma. Nach zwei Wochen startete man den ersten Versuch, mich aus dem Koma zu holen. Da all meine Reflexe und sämtliche Funktionen nicht arbeiteten, legte man mich für weitere vier Wochen in ein Koma. Erfolgreich, wie sich herausstellte.
In diesen vier Wochen verstarb mein Vater. Sein Herz konnte nicht mehr.
In den ersten zwei Wochen meines Komas hatte er mich täglich besucht und konnte den missglückten Aufwachversuch nicht verarbeiten. Eine Woche später fand David ihn in seinem Haus. Er war ganz friedlich in seinem Lieblingssessel im Wintergarten eingeschlafen. Das Herz war einfach stehen geblieben. Ein verschimmelter Schokoladenkuchen stand in der Küche. Den hatte er wohl für mich gebacken. David sagte, Vater wollte mich direkt nach dem ersten Aufwachen zu Hause pflegen. Als er jedoch erfuhr, dass all meine Funktionen katastrophal aussahen, nahm es ihm jede Kraft.
David war fünf  Mal zwischen Denver und Carbondale hin- und hergependelt. Melissa, seine Frau, war endlich schwanger. Zwillinge.  Zwei neue Leben für zwei Tode. Immer wieder findet die Natur zu ihrem Gleichgewicht.
Ich hatte die Todesfälle, Melissa und David das Leben.
Ich war zu einem Wrack voller Narben geworden, innerlichen und äußerlichen.
Meine heile Welt war zusammengebrochen. Mir blieb nur noch David. Und der saß in meinem Krankenzimmer und weinte.
Da ich das ganze Krankenhaus wegen meiner Narben zusammengeschrien hatte, hatte mein Arzt mich kurzum wieder in den Schlaf geschickt.
Wieder wachte ich mit David an meinem Bett auf. Er weinte nicht mehr. Dann hatte mein Schlaf wohl geholfen. Er sagte: „Du hattest einen Unfall.“
Das erklärte auch meine Narben. Ich konnte die Theorie mit der Organentnahme also vergessen.
„Wie schlimm?“, fragte ich.
„Ziemlich“, antwortete er. David war ein ruhiger Geselle.
„Sag Dad bitte nichts“, bat ich ihn. „Es würde ihn umbringen.“
Daraufhin stand David auf und verließ das Zimmer.
Erst am dritten Tag nach meinem Erwachen erfuhr ich von der Familientragödie in meiner eigenen Familie. Jenny hatte mir die Nachrichten schonend beigebracht. David konnte es nicht. Er hatte zu nah am Wasser gebaut. Jenny war wieder mal die, die am besten mit der Situation umgehen konnte, da es sie nicht persönlich betraf.
Danach wünschte ich mir ein neues Koma. Ein Endgültiges.
    *
    Ende Oktober wurde ich entlassen. David war wieder in Carbondale. Er hatte

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