Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
tun.“
Es sah wieder aus dem Fenster und ließ mich gedanklich mit der Antwort allein.
Ein Rätsel, kam es mir in den Sinn. Ich dachte darüber nach, wie er das meinen könnte. Dann kam mir die Lösung: Seine Frage in dem Buch: Darf ich sein ? Ohne Antwort oder Erlaubnis von mir, dass er sein darf , könnte er nicht mehr mit mir reden.
Ich fühlte mich mit dieser Idee inspiriert und herausgefordert. Sollte ich ihm die Frage jetzt beantworten oder lieber Jennys Empfehlung, damit zu warten, beachten?
Ich kniff demonstrativ meine Lippen zusammen, und Chris erhob sich. Er hatte mich verstanden und verließ ohne Kommentar mein Büro. Ich haderte mit mir, lief ihm dann aber hinterher und rief quer durch den Flur: „Ja!“
Chris ging ungerührt weiter, ging durch eine gläserne Tür, dann durch die nächste und verschwand um die Ecke in sein Zimmer. Ob er dabei grinste, weiß ich bis heute nicht, aber ich kann es mir gut vorstellen.
Ich stand noch auf dem Flur, als der Hausmeister von hinten auf mich zukam und mir von dem Loch in dem Zaun berichtete. Ich nahm es gelassen hin und fuhr heim. Meine Arbeit war für heute beendet.
Auf dem Heimweg war mir zunächst etwas mulmig, dann schwindelig …, und dann entblätterte sich der Zusammenhang von Mrs. Twielangs Unfall und dem Loch im Zaun. Ich hätte beinahe in mein eigenes Auto gekotzt, als ich daran dachte, Chris ein ja! hinterhergerufen zu haben. Er hatte gegrinst! Jetzt bin ich mir ganz sicher.
Mit meiner Antwort hatte ich einem Psychopathen das Tor zur Freiheit aufgeschlossen!
Als ich zu Hause ankam, musste ich mich sofort übergeben.
*
Drei Tage lang war Chris zu keiner Therapiestunde bei mir eingetragen. Ich sah ihn nicht einmal im Gebäude oder Gelände herumlaufen und wurde unsicher, ob etwas passiert war. Vorsichtig fragte ich bei Dr. Hamond nach. Dieser sah von seinem Schreibtisch über seine Lesebrille hinweg zu mir und fragte: „Warum wollen Sie das wissen?“
„Weil er mein Patient ist.“
„Steht etwas in Ihrem Terminplan?“
„Nein.“
„Liegt eine Nachricht auf Ihrem Schreibtisch?“
„Nein.“
„Hat er eine Gesprächsstunde mit Ihnen versäumt?“
„Nein.“
Damit wendete Hamond seinen Blick von mir ab und sah wieder in eine Akte, die er gerade am studieren war. Ein blödes Spiel!
Als ich mich abwendete, hörte ich noch, wie er sagte: „Dann hat er wohl genug zu tun, um sich bei Ihnen sehen zu lassen.“ Das hieß soviel wie Hau ab, Kerl und stör mich nicht weiter. Das hieß aber auch, dass ich nicht immer mehr über meine Patienten nachdenken sollte, als nötig.
Ich sagte „Ja, Sir“, und kam der unausgesprochenen Ansage nach.
Nicht übel, kam es mir in den Sinn. Vielleicht sah ich die Dinge wirklich zu ernst. Dies war ein Job, nicht mein Leben.
Wieso besaßen alle anderen die Fähigkeit, so locker mit diesem Christopher Gelton umzugehen, nur ich nicht?
Auch Jenny teilte mir mit, sie ignoriere Chris in der gleichen Art und Weise, wie es Mrs. Twielang ihr vorgegeben hatte. Und es funktionierte großartig.
Ich erinnerte Jenny daran, dass Mrs. Twielang jetzt tot und in dem Zaun ein Loch sei. Sie sah mich erschrocken an.
Ich kippte mir eine halbe Flasche Johnny Walker rein und schrieb in Chris‘ Buch, direkt unter seine Frage Darf ich sein?: Mach doch, was du willst!
Als Jenny das am nächsten Morgen las, schrie sie mich an. Ich wäre ein Säufer und blöd zugleich. Anstatt im hinteren Teil des Buches etwas Besonnenes im Namen seines Vaters einzutragen und somit Chris in eine Falle laufen zu lassen, hätte ich den Kontext zwischen ihm und mir nun zerstört.
Ich hielt das Buch zu Hause, um später, in besserer Verfassung, hinten etwas einzutragen.
*
Ich beobachtete, wie Chris mit Sarah zu flirten begann. Beide hatten wohl Gefühle füreinander entwickelt. Chris‘ Gesichtszüge veränderten sich, wenn er mit ihr redete. Sie wurden weich, liebenswert und ehrlich. Ich begrüßte eine solche Entwicklung absolut, aber nicht wenn sie zwischen Patient und Personal stattfand. So sah ich mich in der Pflicht, Dr. Hamond darüber zu berichten.
„Was gibt’s?“, fragte er genervt durch die Tür, als ich klopfte.
„Darf ich reinkommen?“, fragte ich, um das Problem nicht durch die Tür hindurch zu besprechen.
„Sicher“, sagte er, „wenn es nicht zu lange dauert. Habe gleich einen Termin. Besser, Sie melden sich vorher an.“
Ich musste plötzlich daran denken, dass sein Vorgänger Dr. Pilburg und ich uns auch bis kurz vor seinem Tod immer mit
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