Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
Vom Netzwerk:
ging mit seinem Buch in mein Büro, packte es in meine Tasche und holte seins, in Geschenkpapier eingeschlagen, heraus. Das brachte ich ihm.
Vorne auf der ersten Seite hatte ich ganz formell eingetragen: Lieber Christopher, alles Gute zum 13. Geburtstag. Dr. Koman.
Chris begutachtete das Buch von allen Seiten und nickte dann. „Es sieht etwas anders aus, als das alte.“ Das war alles, was er bemerkte. Ich nickte.
„Christopher?“, fragte ich. „Morgen bist du eine Stunde bei mir zum Einzelgespräch eingetragen. Wirst du kommen?“
Chris sah auf. „Sicher, wenn es so im Plan steht. Ich meine, selbstverständlich, Dr. Koman.“
Er hatte sich wieder kurz vergessen, dann aber zurückgeholt.
Damit ließ ich unseren Neuzugang im wahrsten Sinne des Wortes allein und wendete mich den Sachen zu, die ich von Dr. Hamond aufgetragen bekommen hatte. Chris sah ich den ganzen Tag nicht mehr.
    Durch die Halbtagsstelle war ich immer früher zu Hause als Jenny. So konnte ich mich, nachdem ein starker Kaffee durch die Maschine gelaufen war, dem mitgebrachten Buch von Chris widmen. Zunächst kontrollierte ich meine alten Eintragungen, die ich in der Schrift seines Vaters , oder sollte ich besser sagen in meiner Schrift , gemacht hatte. Chris hatte nichts verändert, hinzugetragen, durchgestrichen oder herausgerissen. Dafür hatte er vorne drei neue Sätze eingetragen.
Die Regeln zwischen uns waren klar: er schrieb vorne rein, ich hinten. In der Mitte würden wir uns begegnen. Das Showdown einer Geschichte stand an.
Ich las, was er geschrieben hatte:
    Lieber Vater,
ich bin getauft, endlich.
Ich bin jetzt jemand.
Darf ich sein?
    War das alles? Darf ich sein ? Chris fragte nach der Erlaubnis, existieren zu dürfen? Was sollte sein Vater wohl darauf antworten?
Ich beschloss, auf Jenny zu warten.
Sie kam recht energiegeladen heim und erzählte von einem tollen Gespräch mit Mrs. Twielang, Chris‘ bisheriger Kunstlehrerin. Eine sympathische Person, die Chris kaum Beachtung geschenkt hatte. Sie hatte ihm einfach keine Aufmerksamkeit entgegengebracht und „kann von Glück sprechen, das ihr nichts passiert ist!“, rief Jenny lachend aus dem Bad. „Sie meint, man sollte den Knaben einfach links liegen lassen. Dann pariert er schon.“
„Dann solltest du das auch tun“, rief ich zurück ins Bad.
„Vielleicht ist das der Weg, mit dem Chris wirklich klarkommt. Vielleicht dürfen wir seine Emotionen nicht wecken. Das weckt seine Erkrankung.“ Jenny lachte. Ich lachte. Und alles schien easy.
Ich zeigte Jenny Chris‘ neue Eintragung im Buch und erzählte ihr, wie einfach der Junge mir das Buch anvertraut hatte.
„Wir sollten uns Zeit lassen zu antworten“, schlug Jenny vor. „Ihm signalisieren, dass er uns nicht mehr wichtig ist.“
Keine schlechte Idee. Ich nickte, schlich mich mit Jenny ins Bett und zeigte ihr, wie wichtig sie mir war.
Am nächsten Morgen erfuhren wir, dass Angie Twielang gestern Abend auf dem Heimweg über den Highway tödlich verunglückt sei. Bei ihrem Wagen hatten die Bremsen plötzlich versagt, und sie war mit voller Geschwindigkeit in einen LKW gefahren. Ein tragischer Unfall!
Gegen Mittag fand der Hausmeister ein Loch im Zaum des Freigeländes meiner Station. Es war kaum sichtbar gewesen. Man musste schon gut hinschauen. Niemand wusste, wie lange das Loch schon dort war. Es wurde sofort repariert, und ab diesem Tag wurde der Zaun täglich kontrolliert.
    *
    „Hallo Christopher“, eröffnete ich das erste Gespräch zwischen uns. Er saß mir gegenüber, adrett, sympathisch, aber ernst.
Derzeit wusste ich von dem Loch im Zaun noch nichts und teilte ihm unmissverständlich die Nachricht mit, dass seine Lehrerin gestern tödlich verunglückt sei.
„Eine so gute Frau“, sagte Chris und sah dabei zum Fenster hinaus. Ich bestätigte nichts ahnend seine Bemerkung.
„Wie hast du dich eingelebt, Christopher?“, fragte ich, um dem Gesprächen einen Anfang zu geben.
„Gut. Danke der Nachfrage.“
Wir schwiegen. Irgendwie war es wie immer.
„Möchtest du über irgendwas mit mir sprechen?“
„Das wollte ich Sie auch gerade fragen, Dr. Koman.“
Wie bitte? Jetzt sah Chris mich an und grinste. Dieses Grinsen! Es machte mich wahnsinnig.
„Es könnte ja sein, dass Sie mir etwas zu sagen haben.“
Ich schaute ihn abschätzend an. „Nein“, antwortete ich.
„Ach, wissen Sie“, begann er, „Dr. Koman, ich habe da eine wichtige Frage, aber … es würde zu nichts führen. Sie haben sicher Wichtigeres zu

Weitere Kostenlose Bücher