Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
nach meiner Mutter, damit sie mir wenigstens den kleinen Eimer aus der Ecke reichen konnte. Doch es kam niemand. Mir stiegen die Tränen in die Augen, so stark war der Schmerz in der Blase. Ich zwang mich unter lautem Geschrei in die Höhe und dann zur Toilette. Der Urin kam ganz langsam. Ich dachte, ich müsste sterben.
Ich rief wieder nach meiner Mutter. Es war keiner im Haus. Nicht einmal Brad, der jetzt arbeitslos war.
Meine Mutter arbeitete seit mehreren Wochen nicht mehr. Sie sei zu krank, sagte Brad.
Vielleicht war sie heute wieder arbeiten gegangen, weil sonst kein Geld reinkam.
Es lag nicht einmal ein Zettel auf dem Tisch. Der Kühlschrank war leer und die Vorratskammer auch. Was sollte ich essen? Ich hatte seit gestern früh nichts mehr gegessen.
Da merkte ich zum ersten Mal, wie arm wir waren. Ich bekam kein Taschengeld und kein Mensageld.
Also ging ich wieder ins Bett, weil das Liegen mir am wenigsten Schmerzen bereitete. Ich sah auf den Platz, wo sonst das Bild von meinem Vater stand. Ich weinte und schlief ein.
Brad war nicht ganz weg. Er war abends wieder da. Alles lief weiter wie immer, nur dass Brad vormittags zu Hause war. Nachmittags war er auf Stellensuche.
Meine Mutter ging wieder ins Blumengeschäft. Und Essen war auch wieder da.
Ich fand die schulfreie Zeit toll, auch mit Schmerzen. Was blieb mir sonst übrig?
Niemand brachte mir Hausaufgaben vorbei. Meine Mutter oder Brad kümmerten sich auch nicht darum. Sie sagten, ich sei so gut, ich könne das mit Leichtigkeit nacharbeiten.
Ich glaube, dass sie froh waren, nicht zur Schule zu müssen.
Der Schmerz wurde irgendwann weniger. Mein Gesicht heilte gut, und ich durfte wieder in die Schule.
Man fragte mich, was ich hatte. Ich sagte, ich sei die Treppe runtergefallen und hätte mir ein paar Rippen gebrochen.
Der Klassenlehrer wollte es nicht glauben, weil ich doch sonst so ein drahtiges Kerlchen wäre. Er wollte noch mal mit meiner Mutter reden.
Hoffentlich hielt sie dicht.
Es klingelte an der Tür. Eine fremde Frau stand davor. Ich wusste nicht, was ich machen sollte, denn es war keiner zu Hause.
Sie sagte, sie hieße Monica und sei eine gute Freundin von Brad. Ich sah sie an und sagte, das sei mir nicht bekannt.
Sie sagte, sie sei heute mit meiner Mutter und Brad verabredet. Wegen mir.
Wegen mir?
Gott sei Dank kam Brad gerade nach Hause. Ich war nämlich ratlos. Ich durfte keine Fremden ins Haus lassen.
Brad gab Monica einen Kuss auf die Wange und sagte: „Schön, dass du da bist.“
Ich war etwas entsetzt. Er küsste meine Mutter nie!
Monica kam mit ins Haus, und Brad kochte Kaffee für sie. Ich stand nutzlos herum und hatte von nichts eine Ahnung. Also schickte mich Brad aufs Zimmer. Dort hörte ich, wie beide lachten und flüsterten.
Die Situation kam mir sehr bekannt vor. Als meine Mutter vor einigen Wochen in Urlaub war, kam abends immer eine Frau zu Brad. Sie lachte und flüsterte damals mit Brad. Es war die gleiche Stimme.
Klar, Monica war schon öfters bei uns gewesen und hatte mit Brad Fußball geschaut. Sie hatte also nicht gelogen, sie war eine gute Freundin von Brad.
Irgendwie kam mir die Situation komisch vor. Sie schauten zwar kein Fußball, aber sie redeten sehr lange miteinander. Ich konnte leider kein einziges Wort verstehen, denn sie redeten sehr leise.
Dann ging Monica. Kurz danach kam meine Mutter heim. Warum hatte Monica nicht so lange gewartet? Dann hätte sie meiner Mutter hallo sagen können.
Ich wollte runtergehen, aber Brad schickte mich direkt wieder in mein Zimmer. Er sagte: „Ich muss gleich mit dir reden.“
Okay. Also wartete ich und malte etwas.
Meine Mutter und Brad stritten sich wieder. Irgendwie konnten sie nie ohne Zank miteinander reden.
Bob sagte, das sei der Grund, warum sie auch mit mir nie vernünftig geredet hätten. Sie konnten es nicht.
Türen knallten, Glas zersplitterte.
Als ich Brad die Treppe hochstampfen hörte, wurde mir Angst und Bange. Was hatte ich getan? Ich überlegte ganz schnell, aber mir fiel nichts ein.
Brad kam ins Zimmer. Ich saß zitternd auf meinem Bett. Er setzte sich neben mich und sagte: „Ich muss mit dir reden.“
Ich sagte: „Ich weiß.“ Auch wenn ich gar nichts wusste.
Er sagte: „Gut. Dann mach ich's kurz. Monica ist eine Freundin von mir. Sie würde dich gerne für vier Wochen nach Leadville einladen. Was hälst du davon?“
Ich sah Brad an. Was hieß einladen ?
Brad sagte: „Urlaub machen.“
Oh, Urlaub! Davon hatte ich schon mal gehört. Meine Mutter war in
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