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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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wie damals, als Großvater Ben mir die Staffelei schenkte.
Meine Schrift bekam immer mehr Verzierungen. Sie sah wie ein sprühendes Kunstwerk aus. Die Lehrer wurden immer zurückhaltender. Mein Großvater hat einmal zu mir gesagt: Wenn die Leute nichts mehr zu dir sagen, dann haben sie großen Respekt vor dir.
    Meine Mutter hat versucht, mir das Bild meines Vaters wegzunehmen. Ich schrie solange, bis sie es wiederbrachte. Sie hatte es schon zur Mülltonne gebracht!
Eigentlich wollte ich sie fragen, ob sie mir etwas über meinen Vater erzählen könnte, aber nach dem Versuch mit der Mülltonne war mir die Lust vergangen.
Dabei hatte ich so viele Fragen. Ich versuchte, mir immer vorzustellen, wie er gewesen sein könnte.
Ich begann, meine Mutter zu beobachten. Ihr Gesicht hatte sich irgendwie verändert. Die Augen. Sie lagen wie in tiefen Höhlen. Die von Brad aber auch. Bei ihm war es bestimmt der Alkohol, weil er noch dicke Säcke unter den Augen hatte. Da sammelte sich wohl das Zeug. Die hatte meine Mutter nicht.
Ich sah, dass sie häufig Tabletten nahm und mit Wasser herunter spülte. Wie hatte mein Vater das nur mit ihr ausgehalten? Wen konnte ich fragen? Ob Brad etwas wusste?
Ich fragte ihn: „Hast du meinen Vater gekannt?“
„Nein“, antwortete er. Er roch nach Alkohol. „Warum?“
„Nur so“, versuchte ich abzulenken.
Abends hörte ich Brad in der Küche sagen: „Er beginnt nach Dane zu fragen.“
Dane. Ich fand, dass es ein komischer Name für einen Mann war. Brad fand ich viel besser. Härter. Dane klang so weich. Doch das war mein Vater gewiss nicht gewesen.
Brad sagte noch zu meiner Mutter: „Du solltest ihm die Fotos zeigen und etwas Nettes erzählen. Das hilft ihm.“
Ich hörte sie weinen. „Das kann ich nicht.“
„Du musst, Sarah. Sonst wird er andere fragen. Die erzählen ihm womöglich Sachen, die er nicht versteht. Du kennst die Leute.“
Das erschreckte mich! Zum ersten Mal hatte ich Hitze in mir, ohne dass ich schreien musste. Früher habe ich geschrien, wenn ich Hitze und Zorn spürte. Das wurde also besser. Dafür kroch etwas anderes in mir hoch. 
Ich begann, mich in den Arm zu schneiden. Erst waren es nur kleine Schnitte, die ich kaum spürte. Dann machte ich größere. Ich benutzte dafür die ungebrauchte breite Schreibfeder aus meinem Tuschekasten.
Ich machte es immer nach den Hausaufgaben, weil es so gut tat und ich mich total entspannen konnte. Die blutigen Taschentücher packte ich in die Schultasche und warf sie auf dem Schulweg irgendwo in den Mülleimer. Ich fuhr sowieso alleine mit dem Rad zur Schule.
Eines Tages kam mir die Idee, das Blut als Tinte zu benutzen. 
Ich ließ eine kleine Lache auf meinen Schreibtisch tropfen und sog sie mit der Feder aus meinem Tuschekasten in den Füller hinein. Das klappte prima. Es war ein klares Rot, dass sich während des Schreibens braun färbte. Ich beschloss, damit Horrorgeschichten zu schreiben. Das habe ich schon mal in der ersten Klasse getan. Doch jetzt waren sie wirklich perfekt; nicht nur die Schrift, sondern auch das Gefühl dabei, mit echtem Blut zu schreiben.
Zwei Tage später war ich sauer, denn das Blut bröckelte wie Pulver vom Blatt und hinterließ nur eine blasse Schrift.
Ich musste mir etwas einfallen lassen. Ich musste es mischen. Mit echter roter Tinte. Das funktionierte. Gott sei Dank blieb auch das tolle Gefühl dabei. 
Ich fragte einmal meine Deutschlehrerin, ob sie eine Horrorgeschichte von mir lesen wolle. Sie war begeistert und nahm ein blutgetränktes Bündel Papier mit heim. Am nächsten Tag reichte sie es zurück und bemerkte, dass mit der Tinte etwas nicht stimmen könnte. Sie blättere ab. Ich lächelte und nickte. Sie hatte ja Recht. Ich sagte ihr, dass ich mich darum kümmern würde. Vom Inhalt her lobte sie mich. Ich hätte Talent zum Schreiben. Es hätte sie wirklich gegruselt. Sie war echt freundlich. 
Eine Woche später wurde sie plötzlich unfreundlich zu mir. Ganz anders als früher. Sie wollte nie wieder eine Geschichte von mir lesen.
    Meine Blutgeschichten habe ich in einem Karton aufbewahrt, damit das Blut nicht herausbröckeln konnte. Der Karton stand immer neben meinem Schreibtisch. Ich durfte ihn nicht mit in diese Klinik nehmen. Das war gemein. Andere Schriftsteller behalten auch ihre Manuskripte. Bob sagte, das hätte etwas mit der Hygiene zu tun. Mit der Sauberkeit. Mein Blut ist doch nicht dreckig!
Hier in der Klinik muss ich einen Bleistift benutzen, den man kaum auf dem Papier sieht.

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