Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
muss mit dir reden.“
Das musste Brad auch immer.
Sie fragte: „Weißt du überhaupt, was Läuse sind?“
Mein Blick genügte, und sie erklärte mir genau, was es mit den Läusen auf sich hat.
Ich schämte mich anschließend, dass ich Monica so gedemütigt hatte. Es war nämlich eine Regel in Leadville, dass Kinder mit Läusen nicht raus durften.
Zwei Tage dauerte es, bis ich draußen wieder Kontakt hatte. Manche lachten über meine Dummheit. Aber das war mir lieber, als Monica zu demütigen. Sie war so nett zu mir.
Man bot mir wieder Zigaretten an. Ich dachte an Monicas warnende Worte: „Lass es.“
Man nannte mich danach einen Feigling und lachte mich aus. Ein Feigling war so etwas wie Läuse haben. Niemand will mehr mit dir zusammen sein.
Also rauchte ich mit, denn ich musste ja noch einige Tage hier bleiben. Und weil Monica mich nicht immer im Wohnwagen haben wollte, musste ich mich mit allen guthalten. Ich würde es Monica einfach später erklären.
Das brauchte ich nicht, denn sie fand mich abends voll bekifft neben dem Pool und brachte mich heim. Mein Gesicht war grün, erzählte sie mir später.
Am nächsten Tag fragte sie: „Wie lange möchtest du noch leben?“
Ich überlegte und sagte: „Noch sehr lange, wieso?“
„Weil man vom Kiffen stirbt“, sagte sie und kochte Mittag für uns.
Ich kiffte nie wieder.
Merkwürdigerweise starb niemand in der Zeit, als ich da war. Aber wahrscheinlich ging's kurz danach los.
Vom Kiffen hatte ich schon in der Schule gehört, hatte nur nicht gewusst, was das war. Aber auch da starb niemand. Oder ich habe es nicht mitbekommen. Das ist durchaus möglich.
Was ich nicht verstand, war, warum das Gefühl dabei so toll war. Ich fühlte mich wie im Himmel. Aber es war wohl ein Gesetz der Erde, dass man nach dem Wohlfühlen immer bestraft wird. Das sah ich ja an Brad und meiner Mutter.
Ich schlenderte gelangweilt über den Platz. Es war schon dunkel und niemand mehr draußen. Monica musste arbeiten.
Da hörte ich aus einem Wohnwagen ein Geschrei. So, wie bei uns zu Hause, wenn Brad wütend war.
Ich blieb stehen und hörte, wie ein Junge geschlagen wurde. Das machte mich wütend, denn ich wusste inzwischen, wie schlimm das war.
Also klopfte ich an die Tür und schrie: „Aufhören!“
Doch es hörte mich niemand.
Dann hörte ich auch eine Frau schreien. Genau, wie bei uns, dachte ich. Wir waren also ganz normal.
Ich klopfte wieder und schrie. Da öffnete sich die Tür, und ein Mann schmiss einen Jungen aus dem Wohnwagen. Er landete übel zugerichtet vor meinen Füßen.
Da Monica mir immer Papiertaschentücher in die Hose steckte, konnte ich den Jungen damit versorgen. Ich streckte ihm die Hand entgegen und sagte: „Chris.“
Er ließ sich von mir hochhelfen und sagte: „Steve.“
Wir hatten die gleichen Väter, das heißt, die gleichen Männer zu Hause. Brad war ja nicht mein Vater.
Steve blutete überall im Gesicht. Gekonnt untersuchte ich seine Nase und befand sie als in Ordnung.
Wir suchten uns eine abgelegene Ecke und machten ein kleines Feuer. Nun konnten wir uns besser sehen.
Steve sah schlimm aus. Wie ein Boxer nach verlorenem Kampf.
Steve fragte: „Wie alt?“
Ich wollte ihm eine Hilfe sein und sagte: „Dreizehn.“
Er nickte und sagte: „Elf.“
Ich fragte: „Wie oft?“, und zeigte auf sein Gesicht.
Er sagte: „So, zweimal die Woche.“
„Oh“, sagte ich und schätzte mich glücklich.
„Und du?“, fragte Steve.
Ich antwortete: „Einmal im Monat.“
„Glückskind“, sagte Steve.
Ja, ich war ein wahres Glückskind.
Steve fragte: „Wo wohnst du?“
Ich antwortete: „Bei Monica.“
„Die Hure?“, fragte Steve.
„Die, was?“, fragte ich zurück.
„Monica ist eine Hure. Die macht's mit allen. Meine Eltern sagen, sie ist Abschaum. Das heißt, sie ist dreckig und verkommen.“
Ich sagte: „Das stimmt nicht. Monica ist sehr sauber und kann gut kochen. Sie arbeitet hart. Jeden Tag.“
Steve nickte. „Is' klar.“
„Dein Vater ist Abschaum“, sagte ich.
Darauf konnte Steve nicht antworten.
Wenn Monica von den Anderen beschimpft wurde, was waren dann die Anderen, die Schläger und Schreier? Gute Menschen?
Ich sagte zu Steve: „Es schimpfen immer die, die noch schlechter sind.“ Ich war dreizehn (vor Steve) und musste Recht haben.
„Ja“, sagte Steve, „dann lieber nur schlecht als noch schlechter.“
Genau. „Was has'te gemacht?“ Ich zeigte auf seine geschwollenen Lippen.
„Ein Glas umgekippt.“
Ich nickte wissend und sagte: „Das
Weitere Kostenlose Bücher