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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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jedoch nicht mit Blut mischen, das traute ich mich in Bobs Büro nicht. Außerdem hatte ich zur Zeit keine Schnitte auf den Armen. Zu blöd.
Bob musste also weg, und ich war noch nicht fertig. Das war ihm zwar nicht recht, aber es ließ sich nicht ändern.
Ich legte meinen treuesten Blick ins Gesicht und sagte: „Bitte lass mich fertigmalen.“
„Das geht nicht, Christopher. Ich muss weg.“
„Ich kann doch abschließen“, bot ich listig an. „Du weißt doch, dass ich nicht in meinem Zimmer malen darf. Bitte, Bob!“
Er sah mich lange an. „Gut“, sagte er. „Gut, ich vertraue dir. Enttäusch mich nicht, Bursche.“ Dann war er weg.
Ich holte sofort die Ordner und suchte meine Eintragungen. Es standen nur ein paar Sätze über meine Mutter drin, dass sie tablettenabhängig war, dass Brad alkoholsüchtig und gewalttätig war, und dass ich mehrmals in Grund und Boden geprügelt worden war. Dann standen da noch die Namen meiner Schulen und etwas über meine Blutgeschichten.
Nichts Aufregendes für mich.
Bob hatte verschiedene Eintragungen von unseren Treffen gemacht, aber nichts Aufregendes.
Bob sagte, dass er zum Schluss eines Gesprächs immer das Ergebnis aufschreiben muss. Das heißt, warum einer etwas machte. Aber wen interessiert das schon? Ich meine das warum.
Nachdem ich gar nichts über meinen Vater fand, wurde ich sehr wütend und schmiss den Ordner in eine Vitrine aus Glas. Das Glas zerbrach, und ich schrie wie am Spieß.
Mr. Mintz kam aufgeregt hereingerannt und schrie mich an. Besser wäre gewesen, wenn er einen Waschlappen dabei gehabt und ihn mir tief ins Maul gestopft hätte.
Mr. Mintz schlug mir ins Gesicht, als ich auf sein Schreien nicht reagierte. Ich dachte, aha, jetzt geht's los. Jetzt schlägt er dich in Grund und Boden, genau wie Brad es vorausgesagt hatte. Aber Mr. Mintz setzte sich mit hochrotem Gesicht auf einen Stuhl und wartete, bis ich nicht mehr schreien konnte. Mir ging nämlich irgendwann die Luft aus, und ich sah ihn an. Auch mit hochrotem Gesicht.
Er sagte: „Zieh dich aus!“
Ich fragte: „Ganz?“
Er befahl: „Ganz!“
Dann schaute er mich von oben bis unten an, an den Beinen, an den Armen und nickte zufrieden.
„Zieh dich wieder an!“
Was sollte das? Veränderte man seinen Körper, wenn man schrie, oder die Farbe der Haut oder was?
Als ich wieder angezogen war, brachte er mich in den Bunker. Das erste Mal wieder nach vielen Wochen.
Ich saß da, im Dunkeln, und dachte: verdammt, nicht mal anmalen konnte ich mich. Ich hatte derzeit keine Wunde, die sich aufkratzen ließ.
Ich musste die ganze Nacht da drin gesessen haben, denn als mich Bob herausholte, war es kurz vor dem Schulbeginn.
Bob brachte mich in die Mensa und sah zu, wie ich gierig frühstückte. Dann schickte er mich zum Duschen und holte mich anschließend in sein Büro.
Ich sah auf die zerschlagene Vitrine. Der Ordner lag immer noch davor.
„Was hast du gemacht?“, fragte er im ganz ruhigen Ton.
Konnte man das nicht sehen? Ich sagte: „Den Ordner in die Vitrine geworfen.“
Bob nickte. „Das sehe ich.“
„Warum?“, fragte er dann. Ich verstand die Erwachsenen oft nicht.
„Warum hast du das gemacht?“, fragte Bob, immer noch ruhig.
Aha, jetzt wurde es schon schwieriger. Wir kamen der Sache näher. Die Erwachsenen brauchen oft so lange, bis sie auf den Punkt kommen. Ich dachte nach.
„Weil ich so wütend war“, antwortete ich brav.
„Worüber warst du wütend?“, fragte Bob.
Die Frage gefiel mir, denn sie brachte mich näher an mein Ziel.
„Weil ich meinen Vater nicht finden konnte.“
Bob schwieg und nickte. „Du hast Unterlagen über deinen Vater gesucht?“
Jetzt nickte ich.
„Was denkst du denn, wo du deinen Vater finden kannst?“
Ich zeigte auf den Ordner. Mensch! War das so schwer? Jetzt verstand er.
„Du willst mehr über deinen Vater erfahren, stimmt's?“
Na endlich! Ja! Ja! Ja! Ich wurde ganz aufgeregt.
„Ich werde sehen, was ich für dich in Erfahrung bringen kann“, versprach Bob und nahm mich wieder in den Arm. Ich drückte ihn fast zu Tode.
    In der folgenden Nacht hörte ich Jason onanieren. Es war ein Tag vor Weihnachten. Ich dachte, der macht sich sein Weihnachtsgeschenk selber! Ich nutzte die Gelegenheit und machte mir auch ein Weihnachtsgeschenk.
Am Weihnachtstag bekamen alle Jungen ein Weihnachtsgeschenk. Ein anderes, versteht sich!
Zumindest alle, die noch da waren. Viele waren weg. Ich fragte mich, wohin die waren. Sie hatten doch alle niemanden.
Auf jeden Fall gab es ein

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