Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
exakt das Foto geworden. Man konnte meinen Vater in der Blutlache sehr gut erkennen. Besonders das dunkle Haar.
Als ich dieses Puzzle so ansah, war es wie eine Vollendung meiner Lust. Ich beschloss, mit dem Malen aufzuhören. Da fielen mir Dr. Jasons Worte ein: „Wenn du dich da ritzt (er zeigte mir die Innenhandgelenke), wird dir schwindelig, und du wirst nie wieder malen können.“
Was brauchte ich jetzt noch Blut zum Malen! Ich konnte es jetzt leer laufen lassen. Mein Kunstfreund war sowieso weg.
Ich besah mir meine Handgelenke und dachte, dass es Zeit war, es zu tun.
Seit meinem Geheimbund hatte ich immer ein Küchenmesser dabei. Das nahm ich und beschloss, das letzte Mal so richtig zu ritzen.
Mir wurde tatsächlich ganz schwindelig. So eine Menge Blut aus einer Wunde von mir hatte ich noch nie gesehen.
Das war eine gute Sache, denn ich kam zu Bob. Er sagte, ich sei psychotisch schizophren. Ich glaube, das sind ganz viele Künstler. Dann muss es etwas Gutes sein.
Christopher Gelton
Als ich Chris' Aufzeichnungen gelesen hatte, war ich gerührt und gelähmt zugleich.
Ich hatte seine Zeit im Heim bei Mr. Mintz miterlebt und war, nachdem ich seine Darstellungen der Situationen gelesen habe, sehr erstaunt, wie jede seiner Handlungen von so viel guter Absicht umschrieben war. Es schmerzte mich, wie falsch ich seine Intelligenz eingeschätzt hatte. Ich fand zwischen all seinen Worten nicht einen Hinweis auf eine böse Absicht, sondern immer nur das Bestreben nach Gerechtigkeit und den Wunsch, geliebt zu werden.
Eine erstaunliche Welt offenbarte sich mir, als ich daran dachte, dass Chris ganz klar nicht in einer normalen emotionalen Welt groß geworden war. Ich fragte mich, wie er nach all seinen Erlebnissen so gutherzig bleiben konnte.
Und genau an dieser Stelle stellte sich eine ganz große Befürchtung bei mir ein, wenn ich an die Geschichte von Chris' Vater dachte. Er war bis zu seinem 22. Lebensjahr laut Aufzeichnungen ein gutherziger Mensch geblieben. Und genauso freundlich wie Chris. Er opferte sich für die Farm seiner Eltern auf und zum Schluss pflegte er sogar seine Mutter, die an Tuberkulose erkrankt war und ihm so gut wie keine Liebe entgegengebracht hatte.
Dann katapultierte ihn das Schicksal wieder in sein Kindheitstrauma zurück. Seine bislang verborgen gebliebene Krankheit brach wie ein Vulkan aus. Anfangs rauchte es etwas, dann spie er langsam Feuer. Zum Schluss stieß er die Lava hinaus und verbrannte sein ganzes Umland.
Inwieweit würden zwischen Chris und seinem Vater Parallelen zu finden sein?
Der Junge befand sich eindeutig im Vorteil: bei ihm ist eine psychische Erkrankung schon früh erkannt worden.
Wir konnten ihn mit elf Jahren in eine sogenannte Schutzverwahrung nehmen. Durch seinen zuletzt verübten Selbstmordversuch, der für ihn keiner gewesen zu sein schien, bestand für ihn Eigen- und Fremdgefährdung. Das führte zu einer Zwangseinweisung in eine Jugendpsychiatrie.
Um Chris' Krankheitsbild zu verstehen, möchte ich es so einfach wie möglich erklären.
Bei sämtlichen Symptomen, Verläufen und Früherkennungsmerkmalen wird man ein Stück seiner Lebensgeschichte wiederfinden. Deswegen war es mir so wichtig, dass Chris seine Geschichte selbst aufschreibt. Nur so konnte ich alles erkennen und belegen.
Seine schizophrene Psychose wurde durch die gestörte Wahrnehmung von gesunden und veränderten Verhaltensweisen erst ersichtlich.
Menschen, die an Psychosen leiden, sind sogenannte Wahrnehmungsgenies. Ein gesunder Mensch nimmt 10% der Umwelteinflüsse wahr. Ab 20% steuert er auf einen Nervenzusammenbruch zu. Werden es mehr, dann werden Geist und Seele des Betroffenen krank. Er kann nicht mehr bewerten, was wichtig und richtig ist und was nicht. Das führt dazu, dass der Betroffene die Lage, in der er sich befindet, wie auch Beziehungen zu anderen Menschen, nicht mehr richtig einschätzen kann. Man denke an Chris' gestörtes Verhältnis zwischen seiner Mutter und ihm. Dann die Alkoholsucht von Brad, dem Lebenspartner seiner Mutter und Chris' verquerte Wahrnehmung der Sexualität durch Brad und später die Zwischenfälle in Schulen und Heim.
Bei schizophrenen Psychosen verwischen die Grenzen zwischen Realität und individueller Wahrnehmung. Der Betroffene ist hochsensibel und oft sehr kreativ. Durch die Fähigkeit, sehr viel wahrnehmen zu können, verliert er den Überblick über seine Beziehungen zur Umwelt. Denken, Fühlen, Wahrnehmen und Handeln haben keinen Bezug mehr zur
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