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Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)

Titel: Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marion Schreiner
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und wies mich zur Tür.
Damit war die Entscheidung gefallen. Ich schlich wie ein begossener Pudel über den Flur. Auf dem Parkplatz begegnete mir Jenny.
„Hy“, rief sie. „Warten Sie, Bob. Ich muss mit Ihnen reden.“
Ich wartete und sah, wie sie eiligen Schrittes auf mich zukam. Toll sah sie aus: roter knielanger Rock, weiße Bluse, offenes Haar, das ihr bis auf die Schulter fiel. Ich wusste immer noch nicht genau, auf welcher Seite sie wirklich stand.
„Haben Sie das Buch dabei?“, fragte sie, als sie vor mir stand.
Ich war genervt und sagte: „Was ist mit diesem verdammten Buch? Jeder will es haben.“
Jenny sah mich an. „Was meinen Sie mit jeder?“
„Na, Dr. Brisco schickt mich gerade heim, um es zu holen.“
Jenny sah zu den Fenstern der Büros im ersten Stock. Brisco stand oben und beobachtete uns.
„Wir reden später“, sagte sie und ging schnellen Schrittes davon. Was ließ sie plötzlich so eilig sein? Sie rief noch, ohne sich umzudrehen: „Kopieren Sie den Inhalt.“ Dann verschwand sie im Gebäude.
Kopieren? War sie doch auf meiner und Chris' Seite? War ich auf Chris' Seite?
Ich holte das Buch.
    Zu Hause angekommen, sah ich den Anrufbeantworter blinken. Ich hörte das Band ab: „Hallo, Dr. Koman. Hier ist Samuel. Sie haben nach mir gefragt und Ihre Nummer hinterlassen. Bitte rufen Sie doch noch mal im Camp an.“
Das tat ich und hatte Samuel sofort am Apparat.
„Was war vorgestern Abend bei Ihnen passiert?“, fragte ich.
Zuerst dachte ich, auch Samuel wollte nicht mit mir sprechen, doch dann hörte ich ihn Luft holen. „Schlimm, ganz schlimm!“
„Was war ganz schlimm?“
„Zuerst haben alle Jungen gespielt. Und alle Betreuer saßen im Gras. Dann haben viele Jungen geschrien und bluteten. Und alle Betreuer lagen wie betäubt im Gras. Ich habe nicht alles gesehen, aber die Betreuer lagen wie tot im Gras, während sich alle Jungen prügelten. Sie prügelten auch auf Chris ein. Der lag am Boden und lachte. Ich habe sofort die Polizei und den Krankenwagen gerufen. Ich habe nicht gesehen, wie alles passiert ist. Ich musste doch den Kiosk neu einräumen. Eis, Schokolade und so. Da habe ich nichts gesehen.“
Ich spürte, wie mein Adrenalin einschoss. Hatte Chris nicht geschrieben: Alle saßen im Gras? Ich fragte bei Samuel noch mal nach: „ Saßen die Erwachsenen oder lagen die Erwachsenen im Gras?“
„Sie lagen! Sie hatten die Augen zu, als würden sie schlafen. Ich schüttelte sie, aber sie wurden nicht wach. Ich dachte, sie seien alle tot. Tot!“
„Und dann?“, fragte ich drängend.
„Dann habe ich den Krankenwagen und die Polizei angerufen. Der Arzt sagte, die Großen seien vielleicht vergiftet und müssten schnellstens behandelt werden. Das haben die direkt hier im Camp gemacht.“
Ich traute meinen Ohren nicht. Samuel sprach vom Tod und von Vergiftung. Chris schrieb von simplen Beruhigungsmitteln und wenigen Pillen. Ich erinnerte mich: er hatte von „Portion“ geschrieben. Wenn ich jetzt eins und eins zusammenzähle, würde ich sagen, Chris hat mehr als eine Tablette in jede Flasche gesteckt. Viel mehr! Pillen, von denen er gar nichts geschrieben hatte. Eine Vergiftung kommt nur infolge einer gehörigen Menge verschiedener Pharmaka zustande. Oder einer brisanten Mischung. Hatte Chris etwa nicht die ganze Wahrheit gesagt und noch viel mehr Pillen aus dem Lederkoffer entwendet?
Ich dankte Samuel und wünschte ihm einen schönen Urlaub. Ich versicherte ihm noch zum Schluss, dass alles wieder in Ordnung und niemand zu Schaden gekommen sei.
Ich saß nach dem Gespräch in meinem Sessel in meiner Wohnung und sah auf das Buch auf dem Wohnzimmertisch. Tod, geisterte es in meinen Gedanken. Chris hatte auf dem Boden gelegen und gelacht, als die anderen ihn getreten hatten. Er hatte das Personal vergiftet. Extra! Er hatte dabei gelacht.
Ich nahm das Buch an mich und fuhr wieder zur Klinik. Ich versteckte es in meiner Tasche und suchte Jenny. Sie war in ihrem Klassenzimmer und schmückte es mit den Bildern der Schüler. Sofort fiel mir ein Bild mit einem gequälten Gesicht auf, und ich wusste Bescheid.
Ich klopfte vorsichtig an die offene Tür und sagte: „Hy. – Ich hab das Buch.“
„Okay“, sagte sie und schloss die Tür hinter mir. „Setzen Sie sich.“
„Wollen wir das Formale nicht lassen?“, fragte ich.
„Okay“, sagte sie. „Setz dich.“
„Ich muss mit dir reden“, sagte ich aufgeregt. Meine Worte überschlugen sich fast. Wo sollte ich nur anfangen? Jetzt wusste ich,

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