Vielleicht gab es keine Schuld (German Edition)
etwas kreiert, was ich überhaupt nicht tolerieren konnte. „Besser wäre Dr. Koman“, konterte ich aufgebracht.
Chris dachte nach. Sein Angebot war: „Ist Bob Koman auch okay?“
„Nein“, sagte ich, „Dr. Koman ist okay.“
„Und Bob?“
„Bob gibt’s nicht mehr für dich“, sagte ich entschlossen. Es war Zeit, unsere Beziehung neu zu definieren.
„Hast du mein Buch, Dr. Koman?“, fragte er. Endlich, das Spiel begann.
„Ja, habe ich“, sagte ich.
„Darf ich es weiter benutzen?“
„Wozu?“
„Ich muss noch was reinschreiben.“
„Fehlt was?“ Ich dachte an die Dosiermenge der Pillen. Vielleicht wollte Chris jetzt einiges korrigieren und wir erfuhren mehr. Es wäre nicht übel, ihm das Buch noch einmal dafür zu geben. Also bot ich ihm an: „Soll ich es holen?“
„Ja“, sagte Chris und setzte sich aufmerksam aufs Bett.
Das Buch wurde plötzlich zu einer Art Kommunikationspartner zwischen den Fronten.
„Warte“, sagte ich und verließ das Zimmer.
Dr. Brisco war noch in seinem Büro. „Darf ich?“, fragte ich durch die offene Tür. Er bat mich herein.
„Haben Sie die Medikamentendose?“
„Nein“, antwortete ich wahrheitsgemäß. „Chris will sein Buch.“
„Das dachte ich mir.“ Brisco nickte.
„Er will noch etwas nachtragen. Vielleicht etwas über die Dosiermenge oder wo der Behälter abgeblieben ist.“
„Und? Was denken Sie?“
„Ich denke, dass er wirklich etwas nachtragen will oder ...“ Mir wurde heiß. „Dass er das Buch vernichten will, Sir.“
Brisco sah mir in die Augen. „Und, was schätzen Sie, wird er tun?“
„Ich schätze, dass er etwas eintragen wird. Er ist nicht der Typ, der Dinge einfach vernichtet. Er ist eher der Spieler, der sein Spiel weiterspielt und es in eine andere Richtung lenken will.“
Brisco nickte. „Genau das denke ich auch. Er wird uns mit diesem Buch noch mehr Schwierigkeiten machen. Wir sind seinem Wahnsinn nicht gewachsen. Nicht, wenn wir es ernst nehmen, was er schreibt.“
Innerlich betrachtete ich die Sache anders: Es wäre doch spannend, zu beobachten, was Chris aus der Sache machen würde. Alleine schon im Sinne der Verhaltensforschung. Aber Brisco hatte recht. Wir würden seine Zeilen vielleicht ernst nehmen und in Teufels Küche kommen. Aber ich fragte: „Und wenn wir das Buch für uns behalten? Nur damit wir seine Denkweise ergründen können.“
Brisco schüttelte den Kopf. „Es wissen zu viele von den Eintragungen. Es wird zu den Beweisunterlagen von Mr. Kalinski angefordert werden. Und je mehr Chris hineinschreibt, desto schlimmer steht Dr. Pilburg da. Je mehr können wir angegriffen werden.“
„Und wenn Chris etwas einfällt, was den ganzen Fall in ein anderes Licht rückt?“
„Anderes Licht? Sagen Sie, wo leben Sie eigentlich? Da sind Dinge passiert, die dokumentiert sind und nun ausgewertet werden. Aber klar, wir schicken der Polizei von Utah eine Durchschrift von Chris' neuer Version, und die Sache ist wieder in Ordnung.“
Nun war Brisco wirklich sauer auf mich. Aber mir schwirrte immer wieder die Forschung im Kopf herum. Ein solches Dokument wäre ein fantastischer Beleg für eine psychische Erkrankung. Hatte Freud nicht auch mit Niederschriften von Patienten gearbeitet?
Ich schlug vor: „Wir könnten ihm ein neues Buch anbieten. Das wäre dann von diesem hier getrennt. Wir sagen ihm, sein Buch wäre von einer Untersuchungskommission eingezogen worden.“
„Das wird er uns nicht abnehmen. Er wird auf sein altes Buch bestehen. Es bringt sonst seinen Ablauf durcheinander.“
Ich dachte nach. „Ein Versuch wäre es wert. Ansonsten bekommt er nichts.“
Brisco nickte schließlich, stand auf und ging zu einem Wandschrank. Dort holte er ein neues schwarzes Buch mit Leerseiten heraus und gab es mir. Bei der Übergabe sah er mich an. „Es bleibt unter uns. Erst mal.“
Ich ging zurück zu Chris.
Ich schloss sein Zimmer wieder auf und blickte vorsichtig hinein. Bei Chris sollte man immer auf Überraschungen gefasst sein. Er saß immer noch auf der Bettkante und sah mich erwartungsvoll an. Dann wurde seine Mine erbost, als er sah, dass es nicht das alte Buch war.
„Wo ist mein Buch?“, fragte er prompt. Jenny und Dr. Brisco hatten recht.
„Dr. Brisco will es erst lesen“, antwortete ich ihm.
Chris dachte nach.
Ich sagte: „Dr. Pilburg geht es schlecht.“
Chris sah mich an und sagte: „Er hat wohl das Essen im Camp nicht vertragen.“
„Oder das Trinken“, ergänzte ich.
„Oder das Trinken“, bestätigte
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