Vielleicht Verliebt
aber es gibt gerade nur einen Einzigen, mit dem sie reden will.
***
Den Weg kennt Elisa auswendig. Und zwar nicht von den paar Malen, wo sie mit Tristan mitgefahren ist, um Joram nach Hause zu bringen. Lange vorher ist sie die Strecke schon ständig gelaufen, denn ein Stück hinter der Siedlung, in der er mit seiner Mutter wohnt, gibt es einen Abenteuerspielplatz. Und mehr so rechts dran vorbei liegt der Bach mit den Fröschen, den Stichlingen und den dicken Grashüpfern an der Böschung. Und auf der anderen Seite dran vorbei und dann noch mal links um die Ecke ist der Kiosk vom alten Herrn Metulsky, den Elisa ab und zu besuchen geht. Bei diesen Unternehmungen wusste sie natürlich noch nicht, dass die ganzen Wege an Joram vorbeiführen.
Sie biegt in die Drususallee ein.
Die Tatsache, dass sie praktisch ihr komplettes Leben in Jorams Nähe rumspaziert ist, ohne ihm ein einziges Mal zu begegnen, muss damit zu tun haben, dass er ihr Gegenteil ist.
Vielleicht sind sie sich auch begegnet, ohne es zu merken. Aber Elisa glaubt eher, dass sie sich wirklich vorher nie getroffen haben, denn sonst hätte der kosmische Plan bestimmt irgendein Zeichen von sich gegeben, und sie hätten sich beim Wiedersehen an dieses Zeichen und aneinander erinnert.
Als Elisa an dem kleinen Heckenlabyrinth am Waldrand vorbeikommt, fällt ihr plötzlich ein, dass Joram ja vielleicht noch bei Max ist! Vielleicht ist nur seine Mutter zu Hause. Wenn die an die Tür kommt und eins der neuen Phase-Zwei-Kinder von ihrem Exmann sieht, ist sie wahrscheinlich verwirrt. Obwohl sie natürlich nicht gleich erkennen würde, dass Elisa eins der Phase-Zwei-Kinder ist. Sie weiß ja nicht, wie die aussehen. Wahrscheinlich kennt sie aber Elisas Namen, und wenn Elisa dann sagen würde: »Hi, ich bin Elisa«, wüsste sie Bescheid. Und wäre dann verwirrt.
Bei dem Gedanken an noch mehr Verwirrung, egal bei wem, wird es Elisa ganz gummiartig zumute. Ihre Füße bleiben stehen.
Sie könnte einen anderen Namen benutzen und gleich mal testen, wie sich das anfühlt. Sie könnte auch einen Abstecher ins Labyrinth machen, um Zeit zu schinden. Dann könnte Joram in Ruhe alles mit Max klären und nach Hause gehen. Und wenn er gar nicht zu seiner Mutter nach Hause geht, sondern zurück zu Tristan? Immerhin ist Sonntag. Elisa seufzt. »Nein«, sagt sie murmelnd, aber entschlossen. »Die offizielle Mission lautet: Vertrau dem kosmischen Plan! Entweder Joram hat schon alles mit Max geklärt, ist in sein Mutter-Zuhause zurückgegangen und macht mir höchstpersönlich die Tür auf, oder …«, sie zuckt mit den Schultern und marschiert weiter, »… oder halt.«
Oder …
… sie schlendert unauffällig durch die Toreinfahrt und guckt sich erst mal den Hinterhof vom Haus an. Im ersten Stock steht ein Fenster sperrangelweit offen. »Zufällig« weiß Elisa, dass die Wohnung von Joram und seiner Mutter im ersten Stock liegt. Und »zufällig« ist die ganze Rückseite von diesem Haus in eine Art Holzgitterkasten eingepackt, an dem sich Rosen hochranken. Das sieht nicht nur schön aus, sondern auch stabil. Wirklich stabil. Und »zufällig« ist gerade niemand in der Nähe, der sie stoppen könnte. Die Botschaft ist so eindeutig, als würde ein Zettel zwischen den Rosen klemmen:
Da kann Elisa ja jetzt schlecht ›nein danke‹ sagen.
W ar es klar? Eigentlich schon: Hinter dem offenen Fenster liegt – tatatataaa – Jorams Zimmer. Er sitzt auf seinem Bett und starrt versunken vor sich hin.
»Nicht erschrecken«, flüstert Elisa und klettert auf die Fensterbank.
Joram springt auf. »Aaaaaaahhhhh!!!!«
»Ich hab doch gesagt: ›Nicht erschrecken‹!« Sie krabbelt über seinen Schreibtisch ins Zimmer.
»Aaaah! Aaaaahhhhhh!«
»Junge, Junge.« Elisa spurtet zu ihm rüber, hält ihm den Mund zu und sieht ihm fest in die schreckensstarren Augen. »Ganz ruhig, okay? Ich bin hinten rum reingekommen, weil ich nicht wusste, ob du da bist. Und weil ich deiner Mutter nicht begegnen wollte.«
Jorams Blick huscht rastlos von Elisas rechtem Auge zu ihrem linken und wieder zurück. Aus seiner Nase schießt hektisch und stoßweise warmfeuchte Atemluft gegen ihre Finger.
»Und jetzt, wo ich bei euch eingebrochen bin, will ich deiner Mutter noch weniger begegnen. Deswegen wäre es super, wenn du aufhören könntest zu brüllen. Schaffst du das?«
Joram nickt langsam.
»Gut, dann lass ich dich jetzt los.« Elisa nimmt ihre Hand von seinem Mund.
Joram sprintet zum Schreibtisch, hebt
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