Vielleicht Verliebt
Inseln sind nicht so mein Ding«, sagt Elisa. »Ich mag Menschen.«
Nikola setzt sich mit ihrem Espresso an den Tisch. Rührt. Pustet. Nimmt einen kleinen Schluck.
»Holly«, sagt sie dann in ihre Tasse. »So wollte ich schon immer mal eine Figur in einem Buch nennen.« Mit klaren Augen sieht sie Elisa an. »Ich glaube, du wärst meine ›Holly‹.«
Joram atmet hörbar ein.
Elisa durchkribbelt der Schauer des Jahrhunderts. Sie schafft bloß ein Flüstern. »Wie krass!«
»Gefällt er dir?«
Elisa nickt, dass ihre Locken nur so tanzen.
Nikola lächelt zufrieden. »Na dann!« Sie klirrt ihre Espressotasse an Elisas Glas. »Prost, Holly. Es freut mich sehr, dich kennenzulernen.«
H olly-Augen. Eindeutig.
Holly-Locken.
Holly-Mund und Holly-Nase.
Elisa lacht. Holly-Lachen.
Glücklich betrachtet sie sich im Spiegel.
»Hallo, Holly!«, flüstert sie.
Und im gleichen Moment flüstert Holly aus dem Spiegel zurück: »Hallo, Holly.«
Und das ist mehr als ein Zeichen, das ist – perfekt.
Warum ist sie auf diesen Namen nicht selbst gekommen? Und viel früher? Er fühlt sich so richtig an!
Die Badezimmertür fliegt auf.
»Elisa, es gibt Essen!« Juni drängelt sich vor das Waschbecken und dreht mit triefend gelb-rot-blau-grün-lila-orangenen Wasserfarben-Händen den Hahn auf. »Was machst du?«
»Ich gucke mich an.«
»Warum?«
»Manchmal ist das schön.«
»Find ich auch!« Juni beobachtet, wie das schmutzige Wasser abfließt, und malt eine Schliere in den dünnen Film, der sich dabei im Becken bildet. »Guck mal, jetzt sind die ganzen vielen Farben nur noch braun. Schade, oder?«
»Braun ist auch ’ne Farbe.« Sie nimmt Juni an der feuchten Hand und geht mit ihr zum Esszimmer. Im Flur bleibt sie plötzlich stehen. »Was ist das denn?«
»Hat Tristan heute aufgehangen«, sagt Juni. »Der sieht da voll schön aus, oder?«
Zwischen Küche und Wohnzimmer hängt ein riesengroßes Foto von Joram an der Wand. Sein Gesicht ist ganz nah rangezoomt, er lacht in die Kamera. Eine zerzauste Strähne hängt ihm in die Stirn, und seine Augen strahlen. Er sieht wirklich voll schön aus. Schön und glücklich.
Um das Bild herum ist ein schmaler Holzrahmen.
Und sonst nichts.
Kein Glühwürmchen. Kein Gesumm. Kein Windhauch.
Kein Garnichts.
Nicht mal Nieselregen.
Sie starrt das Bild an. Sie tastet Jorams Gesicht mit den Augen ab. Sie sieht ihm tief in die großen, schwarzen Pupillen. Aber in ihr regt sich nichts.
»Juni«, sagt sie leise und drückt fest die kleine Hand in ihrer, »es ist passiert.«
»Was denn?«, fragt Juni mit großen Augen.
»Ich hab eine ganz wichtige Sache endlich rausgefunden. Und weißt du, warum?«
»Nein.«
»Weil ich jetzt den richtigen Namen habe.«
»Ui! Welchen denn?«, fragt Juni aufgeregt.
»Komm«, sagt Holly, »das erzähl ich euch allen beim Essen.«
Als sie ins Esszimmer kommen, sieht Holly Tristan, der gerade die dampfende, leise zischelnde Auflaufform auf den Tisch stellt. Sie bleibt wie angewurzelt stehen. Ihre Klamotten saugen sich an ihrem Körper fest und formen sich zu einem Geheimagentenspezialanzug um.
»Oh nein«, sagt sie. »Nicht schon wieder.« Aber da ist ihr T-Shirt wieder ein normales T-Shirt und ihre Hose eine normale Hose, und es gibt keine Zwischenschicht mehr, in die jemand eiskalten Glibber einfüllen kann. »Das glaub ich jetzt nicht«, brummelt Holly.
»Also hör mal.« Tristan klingt enttäuscht. »Die Tortellini hab ich extra zur Feier des Tages gekocht. Weil wir heute unseren ersten offiziellen gemeinsamen Tag hier im Haus haben. Ich dachte, die sind dein Lieblingsessen?«
»Was?«
»Die Tortellini«, sagt Tristan. »Aber du freust dich wohl gar nicht.«
»Doch.« Holly setzt sich. »Klar.«
»Wann kommt Eva endlich nach Hause?«, fragt Mai.
»Sie müsste jeden Moment hier sein, Mai-Kind«, sagt Oma Eins. »Vor zehn Minuten hat sie angerufen und da war sie schon in der Drususallee. Wir sollen schon mal anfangen, damit das Essen nicht kalt wird.«
»Elisa muss uns was ganz Tolles erzählen!«, ruft Juni und wirft Holly einen verschwörerischen Kicher-Blick zu.
»Da bin ich aber mal gespannt!« Tristan nimmt Hollys Teller und sticht mit dem Löffel eine Riesenportion für sie ab.
»Ja. Eigentlich wollte ich damit auf Eva warten.«
»Nein«, protestiert Juni. »Die hat doch gesagt, wir sollen schon anfangen! Die Überraschung wird auch kalt!«
Alle sehen Holly gespannt an.
»Meinetwegen.« Sie räuspert sich. »Ich hab endlich
Weitere Kostenlose Bücher