Vielleicht Verliebt
wollte er immer was mit Nikola und mir machen. Manchmal hatte ich das Gefühl, Joram war ihm gar nicht so wichtig.«
»Vielleicht wollte der nur Vater-Mutter-Kind spielen«, meint Juni. »Ich spiel das auch am liebsten.«
Tristan nickt. »Aber du spielst das mit Mai. Und Max wollte immer mit den Großen spielen.«
»Manchmal spiel ich das auch mit Opa Eins!«, protestiert Juni. Sie klettert auf Tristans Schoß und wischt sich die Finger an seinen Haaren ab. »Oder mit dir!«
»Das stimmt«, sagt Tristan, »und es macht auch wirklich immer Spaß, wenn ich deinen Bären wickeln darf. Aber –«, er packt Juni mit einer superplötzlichen Bewegung um die Hüfte, wirft sich den erschrocken kichernden Zappelwurm über die Schulter und steht auf, »– viel lieber spiel ich die wilden Spiele!«
Er galoppiert mit ihr zur Wiese und legt sie ins Gras.
Er nimmt ihr linkes Handgelenk in die linke Hand.
Er nimmt ihr linkes Fußgelenk in die rechte Hand.
Er macht Motorenstartgeräusche und zieht sie behutsam hoch.
Er fängt an, sich zu drehen.
Erst langsam.
Dann schneller.
Juni ist ein Flugzeug, das um Tristan rumwirbelt.
Je schneller er sich dreht, desto höher steigt das Flugzeug.
Und desto schriller kicherkreischt es.
Tristan lacht laut.
Elisa lacht nicht.
Elisa hat plötzlich einen Geheimagentenspezialanzug an. Einen mit einer Zwischenschicht. Und gerade füllt jemand eisigen Glibberschleim in diese Zwischenschicht.
Langsam sickert die Kälte über ihren Hinterkopf in den Nacken, legt sich auf die Schultern, kriecht in die Arme, wandert Brust und Rücken runter in die Beine und macht erst Halt, als auch Elisas Zehen vor Kälteschock stocksteif geworden sind und sie keinen Fitzel ihres Körpers mehr bewegen kann. Sie fühlt nur noch ihr Herz wummern und starrt Tristan und das Flugzeug an.
Sie sieht, wie das Flugzeug langsamer wird.
Sie sieht, wie Juni wieder sanft auf der Wiese landet.
Sie sieht, wie Mai angestampft kommt und Tristan ihren Fuß und ihren Arm entgegenstreckt.
Sie sieht, wie Tristan danach greift und Mai anlacht.
Und dann sieht sie plötzlich sich selbst.
Elisa sieht Elisa, die vom Sofa aufspringt und mit einer schrillen Stimme Tristan anschreit: »Hör sofort damit auf!«
Und sie wundert sich sehr.
***
Sie wundert sich immer noch, als sie weinend in Evas Armen hin und her geschaukelt wird wie ein kleines Kind, und Oma und Opa Eins und Mai und Juni und Tristan sich um sie versammelt haben und sie ganz bekümmert ansehen. In ihren Zehen und Fingern kribbelt noch die Kälte, der Rest ist zum Glück wieder warm.
»Was ist denn los, Elisa?«, fragt Tristan leise.
Aber das weiß Elisa selbst nicht. Sie schnieft ihn an und vergräbt ihren Kopf dann wieder an Evas Brust. Sie muss jetzt noch ’ne Runde heulen.
»Lasst sie mal«, hört sie Oma Eins sagen, und komischerweise klingt ihre Stimme genauso zitterig, wie Elisa sich gerade fühlt. Es schlurfen und tapsen ziemlich viele Füße von der Terrasse runter, dann ist Elisa mit Eva allein. Elisa weint und weint und versteht die Welt nicht mehr. Was selten ist. Natürlich hat sie schon öfter geweint, aber dafür gab es immer einen Grund. Oder mehrere.
Aber dass man ohne den geringsten Gedanken im Kopf so dermaßen weinen kann, das wusste Elisa nicht. Dass man überhaupt so doll weinen kann, wusste sie nicht.
Sie weint, bis sie Muskelkater im Bauch und im Kiefer hat. Sie weint, bis Evas T-Shirt pitschnass ist. Sie weint, bis ihre Augen zugeschwollen sind und keine Tränen mehr hinkriegen. Sie weint, bis sie so müde ist, dass sie nur noch gähnen kann.
Dann hört sie auf.
Eva schaukelt sie weiter, ganz leicht und sanft. Sie streichelt ihr durch die Locken. Wischt ihr mit dem Handrücken über das nasse Gesicht. »Vorbei?«
Elisa schnieft und nickt. »Ja, vorbei.« Aber die Welt versteht sie immer noch nicht. »Glaubst du, ich bin durchgeknallt?«, fragt sie leise.
»Quatsch.« Eva lächelt sie an.
»Oder etwa in der Pubertät?!« Der Gedanke poltert Elisa mit einem fiesen Grinsen entgegen.
»Selbst wenn es so wäre …« Eva sieht Elisa fest in die Augen, »… dann würde es sich jetzt genauso schlimm anfühlen. Aber ich glaube nicht, dass es die Pubertät ist.«
»Was ist dann mit mir los?«
»Ich weiß es auch nicht.« Eva sieht auf ihre Uhr. »Und leider muss ich jetzt los, eine Wohnung verkaufen. Willst du mit? Auf dem Weg könnten wir noch ein bisschen reden.«
Elisa schüttelt den Kopf. Sie wundert sich zwar selbst darüber,
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