Vielleicht Verliebt
besteht, war ja längst klar.
B-O tritt auf seiner Stange drei Schrittchen nach hinten und wetzt sich den Schnabel am Holz. Erst die rechte Seite, dann die linke Seite.
»Hast du vielleicht Hunger?«, fragt Holly. »Das hab ich mir schon gedacht, du hast ja noch gar nichts bekommen, seit du hier bist. Nur dein doofes Trockenfutter. Guck mal, ich hab dir was mitgebracht.« Sie hält ihm das Mangostück, das sie vorhin in der Küche abgeschnitten hat, vor den Käfig, damit er sich erst mal angucken kann, was jetzt kommt. »Lecker Mango.«
Langsam, langsam und mit klopfendem Herzen führt sie ihre Hand näher an B-O ran. Je näher sie kommt, desto weiter trippelt er auf seiner Stange nach hinten. Als er mit den Schwanzfedern an die Gitterstäbe stößt, schreit er laut und plustert sich wieder auf. Er hat bestimmt noch dolleres Herzklopfen als Holly! Sie hält die Mango gerade eben so weit zwischen die Stäbe, dass B-O sie sich holen könnte – und wartet.
»Ich tu dir nichts«, flüstert sie. »Trau dich!«
B-O heftet seinen Blick auf die Mango, trippelt ein Schrittchen auf Hollys Hand zu, seine Federn werden glatt, dann plustern sie sich wieder auf, und er trippelt zurück.
Hollys Herz rast.
»Fast«, flüstert sie. Dann fängt sie an, eine beruhigende Melodie zu summen. B-O sieht sie aufmerksam an und legt wieder den Kopf schief.
»Musik«, sagt Holly. »Kennst du doch sicher?«
Sie summt weiter. Und plötzlich macht B-O den Schnabel einen winzigen Spalt auf und krächzt drei ganz leise, ganz kurze Töne vor sich hin.
»Ist ja der Hammer«, flüstert Holly. »Du summst mit Oma-Stimme!«
B-O kommt wieder ein Schrittchen auf die Mango zu, überlegt es sich dann aber doch anders. Holly summt weiter. B-Os Blick wandert gierig und skeptisch zwischen der Mango und Holly hin und her. Aber er traut sich einfach nicht, sie sich zu holen.
»Ich kann ja mal weggucken und dir was erzählen«, sagt Holly und dreht den Kopf demonstrativ zur Wand.
»Also, öhm, mal überlegen. Ich hab ’ne ziemlich verrückte Woche hinter mir. Tristan ist letzten Samstag hier eingezogen. Tristan ist der große Schwarzhaarige, den du eben gesehen hast.« Holly linst aus dem Augenwinkel zu B-O rüber, aber dessen Federn plustern sich sofort auf. Der hat den Ultra-Mini-Blick doch echt bemerkt!
»Jedenfalls«, sagt Holly leise und guckt wieder starr geradeaus die Wand an. »Er ist der neue Freund von Eva, der Frau mit den schönen langen Locken und den nackten Füßen. Das ist meine Mutter. Ihr erster Mann war Papa Paul, aber der ist gestorben, als ich sechs war. Autounfall. Irgendwann erzähl ich dir mal eine Papa-Paul-Geschichte, die sind spannend, aber leider nur erfunden. Ich kann mich nämlich an tierisch wenig von ihm erinnern. Das ist irgendwie verrückt, findest du nicht? Guck dir mal Mai und Juni an. Das sind die Kleinen, die hier vorhin rumgesprungen sind. Die sind fünf. Meinst du, wenn sie so alt sind wie ich, haben die auch das meiste von dem vergessen, was jetzt passiert? Ich kann mir das überhaupt nicht vorstellen, du?« Holly versucht, die Hand mit dem Mangostück ganz ruhig zu halten. »Aber eigentlich wollte ich dir ja was über Tristan erzählen. Ich fand es voll cool, dass er zu uns zieht. Zuerst war auch alles super. Aber dann hab ich einen totalen Koller bekommen, als Tristan mit Mai und Juni im Garten gespielt hat. Er hat sie so rumgewirbelt, vor dem Apfelbaum, immer im Kreis, wie ein Flugzeug und …« Holly schluckt. »Weißt du, was voll krass ist, B-O? Wenn ich daran denke, kriege ich schon wieder diese ekelige Gänsehaut. Ich dachte, das wäre vorbei.« Sie hört, wie B-O sich noch mal den Schnabel an der Stange wetzt, und zwingt sich, nicht zu ihm rüberzugucken. »Es ist auch vorbei«, sagt sie mit fester Stimme. »Die Gänsehaut zählt nicht. Das ist nur eine Erinnerungs-Gänsehaut. Tristan ist ja jetzt gar nicht hier.« Die kleinen Knubbel auf der Raufasertapete ergeben Bildchen. Eine Frau mit Hund, ein Gesicht mit Schnauzbart, ein Karussell, ein Schwarm Glühwürmchen. »Dafür bist du hier, B-O, und das ist der Beweis, dass mit Tristan wieder alles perfekt ist!«
Plötzlich fängt Hollys Herz an, im Schweinsgalopp durch ihre Brust zu pesen. Es ruckelt an ihren Fingerspitzen! B-O zieht an der Mango! Schnell weiterreden! »Deine Woche war bestimmt auch ziemlich aufregend, nehm ich mal an. Du musstest von deiner alten Mama weg und hast bei Annelie und Arthur gewohnt.«
Es ruckelt weiter an ihren
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