Vielleicht Verliebt
doch erst früher Nachmittag! Vielleicht hat er wieder endlos wach gelegen und über Max nachgegrübelt. Ausgerechnet in seiner ersten Nacht im neuen Vater-Zuhause! Langsam hat Holly die Nase so richtig voll von diesem Max-Zickerich.
Allerdings muss man fairerweise zugeben, dass es bei ihnen allen gestern spät geworden ist. Mit Annelie und Arthur war es einfach so schön und der Abend so mild. Als die Dämmerung kam, haben sie zwanzigtausend Kerzen angezündet und überall verteilt. Es gab Gänsewein für die Kinder und richtigen Wein für die Erwachsenen und Sterne für alle. Mai und Juni sind irgendwann auf dem Gartensofa eingeschlafen, und Tristan hat sie zu Oma und Opa Eins hochgetragen, weil das Zwillingsdoppelbett das Nachtlager für Annelie und Arthur sein sollte. Die andern haben sich danach noch bis in die Puppen unterhalten. Annelie und Arthur haben Kinder-Geschichten von Tristan erzählt. Und Holly ist dabei klar geworden, dass Phase Eins und Phase Zwei für sein Leben überhaupt nicht reichen. Vor Phase Eins mit Nikola hat Tristan ja schon ganz viele andere Sachen erlebt. Nikola und Joram sind also mindestens Phase Vier oder Fünf oder vielleicht sogar Zwanzig. Und vielleicht ist das mit den Phasen ja sowieso blöd gedacht, weil ein Leben eben ein Leben ist und man das nicht zerhacken und den einzelnen Stücken Nummern verpassen kann. Jedenfalls fand Holly, dass es genau richtig ist, so, wie es gekommen ist. Und alles kam ihr ganz heil und unzerstückelt vor.
Und ausgerechnet, als dieser letzte Gedanke glücklich und zufrieden an ihrem inneren Kaffeetisch saß, schwirrte ein Glühwürmchen zu ihnen an den echten Tisch und hat sich auf Jorams Ärmel gesetzt. Holly hatte sofort krasses Herzklopfen, und der nächste Gedankenkaffeeklatsch ging los:
Bedeutet das, dass Holly doch in Joram verliebt ist?
Vielleicht bedeutet es auch, dass sie es nicht ist, und jetzt sogar ein echtes Glühwürmchen aushalten kann, ohne liebesmäßig auszuflippen?
Ist es ein Bruder-Glühwürmchen?
Oder einfach ein Zufalls-Glühwürmchen?
Heißt das, dass der Konfettischnipsel auch nur Zufall war?
In dem Moment hat das Glühwürmchen seine Po-Lampe ausgeknipst, und da wurde es Holly zu viel. Was das nun wieder zu bedeuten hatte oder auch nicht, wollte sie nicht auch noch überlegen müssen. Also hat sie ganz fest an B-O gedacht, und da hat ihr Herz nur noch für ihn geschlagen.
»Kannst du mir einen Fächer machen?« Juni streckt Joram einen verwuselten Kartenklumpen hin. Er macht die Augen zu, klopft den Stapel auf dem Tisch zu einem ordentlichen Päckchen zurecht, fächert ihn blind auf und reicht ihn an Juni zurück.
»Warum machst du das mit Augen zu?«, fragt sie staunend.
»Ich darf doch nicht sehen, was du für Karten hast.«
»Warum nicht?«
»Weil …«
Karten-Experte Opa Eins fällt Joram ins Wort. »Weil er sonst berücksichtigen kann, was du auf der Hand hast, wenn er ausspielt.«
Juni guckt Opa Eins an, als hätte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. »Was?«
Oma Eins muss lachen. »Lasst uns doch einfach spielen«, sagt sie und gähnt dann ganz fürchterlich. Dieses Gähnen ist der Startschuss für eine Massenmüdigkeit. Plötzlich gähnen alle. Mai und Juni reiben sich die Augen. Nicht mal mehr Opa Eins macht einen eifrigen Eindruck.
Klack, klack, klack landen die Karten auf dem Stapel, hin und wieder murmelt jemand »zwei ziehen« oder »aussetzen« oder »huaaaahhhh«, ansonsten herrscht Stille am Tisch. Aber es ist eine schöne Stille, vertraut und gemütlich und warm. Durch die offene Terrassentür weht der Sommer ins Zimmer.
Hollys Gedanken driften ab, sie riecht ein Feld voll brauner Blumen und sieht klitzekleine Beos in Glühwürmchenformat durch die Gegend schwirren. Und dann hört sie sogar eine leise Melodie das Wohnzimmer erfüllen. Ist sie vielleicht eingeschlafen und träumt das Kartenspielen nur? Aber als die anderen am Tisch sich gegenseitig mit erstaunten Gesichtern angucken und Juni aufgeregt an ihrem Ärmel zupft, wird Holly klar, dass wirklich eine leise Melodie das Wohnzimmer erfüllt!
»B-O spielt Blockflöte«, flüstert Juni.
Zart und sanft kommen die Töne aus der Ecke, wo der Käfig steht, und verteilen sich in der Stille.
Düdeldüdeldüdeldüdeldüüüü. Düdeldüüü, düdeldüüüü.
Düdeldüdeldüdeldüdeldüüü, düdeldü di düdeldü.
»Das ist Für Elise «, raunt Joram. »Von Beethoven.«
»Grundgütiger!«, stöhnt Oma Eins und guckt zu Opa Eins rüber,
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