Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
längst. Die Pointe ist, dass genau jene emanzipatorischen Werte, die einst von der linken Konsumkritik gegen die Konsumgesellschaft in Stellung gebracht wurden, heute die Kernideologie der Werbung bilden: »Ich will so bleiben, wie ich bin« (Du darfst), »Nichts ist unmöglich« (Toyota), »Wohnst du noch oder lebst du schon? (Ikea), »Wir erfinden das Normale neu« (Amazon), »Das wird dein Leben verändern« (Wella) und so weiter. Eine intelligente Konsumkritik müsste darauf eingehen und sich die Frage stellen: Warum macht uns gerade die Selbstinszenierung nicht glücklich, sondern ist zu einem Überbietungswettlauf geworden? Und wie kommen wir da wieder raus?
Die Maximierung aller Glücksgüter würde uns kein bisschen glücklicher machen.
Die Wirtschaft verweigert diesen Dialog. Sie erhebt nicht mal den Anspruch, auf den Inszenierungskonsum und dessen frustrierende Folgen einzugehen. Doch wenn es stimmt, dass der Konsumismus zu einer Art »Glücksvorstellung« wurde und das wirtschaftliche Wachstum seine »Funktionsbedingung« ist, wie der Soziologe Manfred Prisching schreibt, dann kann sich die Wirtschaft nicht hinstellen und sagen: Wir freuen uns, dass unsere Produkte so gut bei den Menschen ankommen, und werden die Nachfrage gern weiter befriedigen. Es geht um mehr, als Waren auszuliefern und Kunden freundlich zu bedienen. Kaufen erfüllt heute eine identitätsbildende Funktion. Kaufen soll dem Glück dienen und verfehlt dieses Ziel offensichtlich. Da ist es ein bisschen wenig, wenn die Wirtschaft nur auf die Freuden eines reichhaltigen Warenangebots hinweist und sich aus dem kulturellen Diskurs über die Frage »Wie wollen wir leben?« schlicht ausklinkt. Ich muss zugeben: Mehr als das Lob der Güterfülle hätte ich damals von den Journalisten bei ihrem Bericht über die Soziale Marktwirtschaft auch nicht verlangt, und es wäre eindeutig zu wenig gewesen.
Denn das Lob der Güterfülle ist nicht mehr als die schlichte Botschaft: »Nie ging es uns so gut wie heute« – und lasst uns bitte mit Sinnfragen in Ruhe. Aber kann die Wirtschaft auf der einen Seite mit Werbung in jedes Kinderzimmer eindringen und jeden Bürger über digitale Tracking-Verfahren total ausforschen und dann so tun, als sei Konsum Privatsache? So als ob sich souveräne Konsumenten im wachsenden Warenparadies schlicht das aussuchten, was sie brauchen? Die Apple-Werbung trifft den Bluff am besten: Da ist alles so easy. Die Welt wird einfacher und leicht bedienbar, die Produkte helfen uns ein bisschen, die Arbeit schneller zu erledigen, wir haben Spaß mit Freunden und tragen dazu bei, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Schon bei Foxconn in China glaubt das keiner, und die User, die in einer geschlossenen Kaufumgebung abgezockt werden, auch nicht (mehr lange) …
»Wohlstand für alle« war das Ziel. Den haben wir. Seit 1930 hat sich das Bruttoinlandsprodukt versiebzehnfacht, seit 1960 verfünffacht. Was wollen wir also noch? Diese Frage beantwortet die Wirtschaft nicht. Auch nicht die Werbung oder die Politik. Sie machen sich’s einfach und sagen: Alle haben noch nicht genug Wohlstand. Mehr ist besser als weniger. Die Armen müssen noch aufholen. Es gibt noch so viel Neues zu entdecken und zu produzieren. Die Steigerung des Konsums darf nicht aufhören.
Der Markt kann mit völlig zufriedenen Kunden nichts anfangen. Wären die Menschen mit dem zufrieden, was sie haben, drohte der Stillstand. Was, wenn sie anfangen würden, die Güter wie früher an die nächste Generation weiterzugeben? Wie absurd ist das denn! Würden die Verbraucher verstärkt auf Haltbarkeit achten statt auf Mode und Innovation, brächen die Umsätze ein. Dieser Zusammenhang liegt jedem Jahreswirtschaftsbericht zugrunde, der die Chancen auslotet, das Wachstum zu erhöhen und die Binnennachfrage anzukurbeln: Ohne Steigerung fliegt uns der ganze Laden um die Ohren.
Wir müssen uns klarmachen, was das bedeutet: Der Konsumismus ist die Abkehr von einer Praxis des »guten Lebens«, wie sie durch die aristotelische Tradition in Europa oder in der asiatischen Philosophie über Jahrtausende gelehrt und gelebt wurde. Er ist die Abkehr von einem Leben nach menschlichem Maß, das ein Gleichgewicht sucht und eine Balance finden will zwischen einem Zuviel und einem Zuwenig an Bedürfnissen und Genüssen. Begierden und Lust sind gut, wenn das Maß eingehalten wird. Und ein gelungenes Leben besteht darin, dieses Maß für sich selbst gefunden zu haben. Die Mitte ist ein
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