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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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in der Gesellschaft respektiert zu werden. Sie haben richtig gelesen: Der Einzelne hat das Glücksversprechen der Konsumindustrie einzulösen. Apple, Hollywood und der neue BMW M6 haben ihren Teil dazu schon getan. Jetzt sind Sie dran! Der Konformitätsdruck ist hoch. Es wird mehr denn je erwartet, dass man sein Glück selbst schmiedet und dafür seine Lebensführung kontrolliert. So tolerant ist die Selbstentfaltungskultur auch wieder nicht. Eine Studie zeigte jüngst, die Gesellschaft erwarte, dass sich Magersüchtige oder Fettleibige einfach mehr am Riemen reißen sollten. 10 Selbstvorwürfe und schlechtes Gewissen begleiten den Konsumenten auf Schritt und Tritt, und er erfährt kaum Entlastung durch andere, sei es durch die Familie oder Institutionen, denn diese sind instabiler geworden. So mindern die Ängste, etwas falsch gewählt zu haben, etwas zu verpassen und die Schuld für das eigene Scheitern zu tragen, die Vorteile der vielen Wahlmöglichkeiten. 11
    Im Überbietungswettbewerb, in dem sich die Konsumgesellschaft befindet, verkümmert auch unsere Fähigkeit zu genießen. Obwohl Genussangebote nahezu immer und überall verfügbar sind, verlernen die Deutschen das Genießen immer mehr. Die empirischen Befunde sind eindeutig: Zwar macht der Genuss für 91 Prozent der Deutschen das Leben erst lebenswert, aber ganze 46 Prozent geben an, dass es ihnen im stressigen Alltag immer seltener gelingt, wirklich etwas zu genießen, bei den Jüngeren sind es sogar 55 Prozent. 12 Die Menschen stehen unter »Genuss-Druck«, weil sie unbedingt an den multiplen Genussoptionen partizipieren möchten, und es kommt zu »Genuss-Neid« auf diejenigen, die in der Lage sind, die Genussangebote auszukosten. »So bekommt Genuss schon fast etwas Zwanghaftes und hemmt in der Folge die eigene Genussfähigkeit«, heißt es in der Studie des Rheingold Instituts. Es wundert nicht, dass die Steigerungslogik gerade beim Glück und beim Genuss versagt. Beides benötigt Zeit und Hingabe und die Fähigkeit, sich dem Geschehen zu überlassen. Man kann den genussvollen Moment und das Glück nicht erzwingen, man kann versuchen, die Chancen für beides zu erhöhen, aber ob man sich verliebt, ob der Abend gelingt, ob die erhoffte Entspannung sich einstellt, ob der neue Kollege ein Freund wird – es lässt sich nicht beliebig herstellen, es kann nicht willkürlich ausgedehnt werden, es ist in seiner Dauer unweigerlich begrenzt. Es entzieht sich der Steigerungslogik. Geschmacksbildung ist keine Maximierung, sondern ein Balancieren. Ausgerechnet beim Genuss sind Leistungsethik und Konsumismus eine glücksfeindliche Verbindung eingegangen: 81 Prozent der Deutschen sagen, dass Genuss nach einer Legitimation verlangt: Vor dem Genuss muss eine Leistung erbracht werden, sonst erlaubt man sich den Genuss nicht. Nur 1 Prozent der Befragten hatte nicht das Gefühl, sich Genuss »verdienen« zu müssen. Selbst beim Genuss verhalten sich die meisten Deutschen kontrolliert.
    Der Urpuritaner kann sich freuen: Auch heute können wir nicht unbefangen genießen.
    Max Weber hatte den puritanischen Geist, der dem westlichen Kapitalismus zugrunde liegt, beschrieben als das Streben nach »Geld und immer mehr Geld … unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens«. 13 Das Leben des Puritaners sei »gänzlich aller eudämonistischen oder gar hedonistischen Gesichtspunkte entkleidet«, sodass Weber deren Lebensauffassung als etwas »schlechthin Irrationales« bezeichnet. Die radikale Genuss- und Glücksfeindschaft der Puritaner war insofern irrational, als in anderen Kulturen oder auch in der Antike und Renaissance die Menschen arbeiteten, um zu leben – und nicht lebten, um zu arbeiten. Menschen, die in Zeiten existierten, als ein »gutes Leben« noch angestrebt wurde, wären nicht stolz darauf gewesen, 14 Stunden am Tag zu arbeiten oder darauf, Genuss als Sünde zu betrachten. Trotz aller Luxusfeindlichkeit des Katholizismus war zumindest der Gedanke eines guten Lebens verbreitet. Katholische Kulturen haben Tänze entwickelt, in denen Erotik gewollt ist und kultiviert wird: Tango, Samba, Cha-Cha-Cha, Rumba, Bossa nova. Protestantische Kulturen haben Tänze entwickelt, die auf Ausdauer und Leistung setzen und Erotik an den Rand drängen: Boogie-Woogie, Rock ’n’ Roll, Disco. »Die innerweltliche protestantische Askese« wirkte, wie Weber treffsicher analysierte, »mit voller Wucht gegen den unbefangenen Genuss des Besitzes, sie schnürt die Konsumption,

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