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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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haben? Warum ist es uns so unwichtig, ob die Produkte die identitätskonstituierende Bedeutung, die ihnen zugeschrieben wird, auch tatsächlich einlösen, und wie weit die Ich-Inszenierer damit kommen? Macht die Harley mit 55 tatsächlich frei? Unterstreicht das Tattoo meine Einzigartigkeit oder ist es nur Ausdruck einer schwer abwaschbaren Laune? Dass die Antworten nicht für jeden gleich ausfallen, spricht nicht gegen die Frage. Die Lebensaufgabe besteht ja gerade darin, das Maß und das gute Leben für sich selbst zu finden.
    Immer intensiver, extremer, geiler – und immer unzufriedener.
    So hat der Sieg der Selbstentfaltungswerte die Kritik am Konsumismus mundtot gemacht. Das romantische Selbst ist heute dann ganz bei sich, wenn es ausruft: »It really changed my life« – es hat mein Leben verändert. Vom Erweckungsgottesdienst über die Castingshow bis zum Beitritt zu Facebook – it really changed my life. Etwas Großartigeres kann man von einem Event nicht sagen. Besonders in der amerikanischen Öffentlichkeit wird dieser Satz in extenso zelebriert. Das Romantische daran ist die Idee der totalen Verwandlung in etwas Außergewöhnliches. Als ob Jesus in mein Leben tritt und mich in einen »neuen Menschen« verwandelt (Kol 3,9). Das romantische Selbst fragt, was ein Produkt zu seiner Selbsterschaffung beiträgt. Wenn sich dieses Selbst ständig wandeln muss, weil es doch kreativ ist und immerfort außergewöhnlich, dann benötigt es dazu viele Produkte. Das romantische Selbst braucht die Konsumkultur, wie die Konsumindustrie von der immensen Nachfrage des romantischen Selbst profitiert. Die stille Übereinkunft beider lautet: Egal, was du kaufst, kaufen ist nie falsch.
    Dagegen geht es aus der Perspektive des guten Lebens darum, die Steigerungsspirale anzuhalten, denn sie erhöht die Unzufriedenheit. Die Unzufriedenheit hat viele Ursachen: Eine ist der Überbietungswettbewerb. Weil für die Inszenierung der kreativen Einzigartigkeit jedes Menschen nichts schlimmer ist als Normalität, muss sie ständig überboten werden. Das, was eben noch cool war oder zu sein vorgab, läuft schnell in Sättigungseffekte hinein und muss ausgewechselt oder gesteigert werden. Die Angebote müssen reizvoller, intensiver, extremer, »geiler« werden. Die Welt wird zu einer Vorläufigkeit, zu einem Provisorium, denn im Modus der Steigerung kann das Ziel nie erreicht werden. Das Leben fängt immer erst in der Zukunft an. 6 Die Überbietung produziert die permanente Unzufriedenheit.
    Die Glücksforschung zeigt demgegenüber, wie wichtig Konstanz im Leben ist. Sie unterscheidet sogar zwischen kurzfristigem Glück (der sonnige Frühlingsmorgen), Flow, der uns überflutet, wenn ein Ziel über längere Zeit hinweg verfolgt wird (Bergbesteigung), und langfristigem Lebenssinn, der sich einstellt, wenn der Mensch auf Erreichtes zurückblickt und Stolz entwickelt auf das, wofür er bindende Verantwortung übernommen hat (Bäckermeister). Konstanz hindert einen jedoch im Überbietungswettbewerb um Positionierungen. Wie viele Ich-Inszenierungen versäume ich, wenn ich mich mal auf eine festgelegt habe? Wer so denkt, hat viel Frust. Er läuft in einer hedonistischen Tretmühle. 7
    Die vielen Wahlmöglichkeiten sind einerseits sicherlich ein Gewinn an Freiheit, der sich glücksfördernd auswirkt. Andererseits schreibt Peter Sloterdijk: »Die Welt ist eine Speisekarte, da heißt es bestellen und nicht verzweifeln.« 8 Die Zahl der Möglichkeiten steigt und damit auch die Angst, nicht die richtige Wahl getroffen zu haben. Es gibt immer noch eine bessere Alternative. Das gilt für den Konsum, aber auch für alle anderen Bereiche des Lebens: die Wahl des Berufs oder des Partners. 9 Alles kann so, aber auch anders gehen. Weil alles machbar und revidierbar erscheint – bis hin zu Alter und Geschlecht –, stellt sich die Frage beim Blick in den Spiegel: Wieso siehst du denn so alt aus? Und verschärfend: Warum tust du nichts dagegen? Oder beim Blick auf den Kontoauszug: Wieso verdienst du so wenig?
    Wer selbst wählt, ist auch selbst schuld.
    Da der Einzelne selbst wählt, ist er auch selbst schuld an den Resultaten. Geht die Sache schief, hat er es selbst vermasselt. Eigenverantwortung nennen wir das. Ihre Kehrseite sind Schuld- und Ohnmachtsgefühle. Viele leiden unter dem Druck, die Erwartungen, die sie an sich selbst stellen, nicht zu erfüllen. Ein zufriedener Konsument zu sein, ist das Glücksversprechen, das der Einzelne einlösen muss, um

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