Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
Hausfrau die Arbeit, mit dem Motorrad konnte man an den Bodensee fahren. Der Konsument wählte Güter aus, die in seine Lebenswelt passten – und natürlich »verführte« ihn die Werbung dazu, auch mal mehr zu kaufen als nötig.
Heute haben wir so viel, dass Künstler mit der akribischen Auflistung von Tausenden Einzelteilen ihres Hab und Guts Aufmerksamkeit erregen.
Brauchen wir das alles? Natürlich nicht. Aber warum kaufen wir es dann? Nicht, weil uns die Werbung dazu zwingt, sondern weil wir in einer Zeit leben, in der der Konsum unser Leben zu einem Gutteil ausmacht. 4 Der Konsumismus ist nicht auf den Gebrauchswert von Gütern gerichtet, das ist vorbei. Klamotten hängen genug im Schrank. Jeder zweite Haushalt hat zwei Fernseher, sollen es vier sein? Konsum ist heute ein Mittel der Selbstgestaltung. Waren haben zwar immer noch einen funktionalen Wert, sie dienen aber immer mehr der Selbstinszenierung. Sag mir, was du konsumierst, und ich sage dir, wer du bist und welche Träume du hast. Der BMW zeigt den sportlichen, der Audi den technikbegeisterten Autofahrer. Der Drei-Tage-Shoppingtrip nach New York vermittelt das Selbstwertgefühl einer Sarah Jessica Parker in Sex and the City . In den 1950er Jahren hätten alle noch schallend gelacht, hätte ein Telefonnetzanbieter versprochen: »Ändere dein Schicksal!« (Vodafone) – nur weil er eine billigere Flatrate anbietet. Heute lacht keiner mehr, denn alles ist möglich, und alles muss auch anders sein können. Dazu dienen immer neue Produkte und Features, und wenn die Versprechen auch oft nur Illusion bleiben, so schaffen sie doch neue Räume der Möglichkeiten und Optionen. Die Produktindividualisierung suggeriert, dass man sich alles maßschneidern lassen kann. Ein Brillenproduzent verspricht über drei Milliarden Modellvarianten, Apple bietet Millionen Apps an. Für alles gibt es eine App. Je intensiver einer »Ich« sagt, desto stärker erfasst ihn der Sog des Konsumismus. Alles ist wähl- und abwählbar, und es hört nie auf. Die Steigerung ist programmiert, wir warten schon auf die nächste Generation, die noch besser und cooler sein wird. Wie jedes Produkt einen Unique Selling Point hat, so muss sich auch jeder Konsument vom anderen absetzen durch seine Besonderheit, und sei es durch so etwas Läppisches wie den Haarschnitt, das Tattoo, die Brillenfassung, das Parfüm, die Designerjacke. Das Produkt steht für eine Identitätskonstruktion, eine Pose, die morgen wieder geändert werden kann, am besten jeden Tag, denn umso interessanter ist man und umso mehr kann die Industrie verkaufen.
Nichts wäre falscher, als dem Einzelnen zu unterstellen, seine Präferenzen wären manipuliert. Das geht gar nicht, denn jeder stellt sich aus den Millionen Optionen seine eigene Mischung zusammen. Die alte Konsumkritik geht völlig an der Sache vorbei. Der heutige Konsument ist eben nicht entfremdet, denn die Produkte bilden ja geradezu einen Teil seiner Identität. Niemand wird gezwungen, etwas zu konsumieren und sich so zu inszenieren, wie er es tut. Andererseits ist der Zwangscharakter nicht zu leugnen: Keiner kann Nein sagen zur Individualisierung und zum Konsumismus. Wir haben einen hohen Konformismus bei gleichzeitig hoher Individualität: Alle versuchen, sich von den anderen abzuheben, womit sie sich zwar nach außen hin stark unterscheiden, aber ihr Denken ist ziemlich konform: Ich will anders sein und einzigartig. Der Zwang zur Anpassung an Trends erzeugt also einen überraschenden Konformismus, der logisch im Widerspruch zur viel beschworenen Individualität steht. Allerdings ist kaum anzunehmen, dass sich plötzlich Millionen Menschen völlig unabhängig voneinander in rationaler Abwägung gleichzeitig für Facebook, Wii oder Skateboarding entschieden haben. Als ich die Gästeliste der Oscar-Verleihung im Internet durchscrollte, fiel mir auf, wie viele Männer jetzt ihren Bart und ihre Haare trugen wie Brad Pitt. Der viel beschworene Individualismus ist ein Bluff. Als ich auf die Idee kam, die Wohnung mit stilvollen Tapeten zu tapezieren, weil ich die weißen Wände leid war, hielt ich mich für unheimlich originell, bis mir der Verkäufer erklärte, dass der Trend momentan sehr angesagt sei. Das geht jedem so. Aber in einer Gesellschaft, der das Ego heilig ist, ist es eine schwere Beleidigung, wenn man feststellt, eigentlich recht durchschnittlich zu sein, einer, der bei jedem Trend dabei ist. Den Trendvermeidungstrend gibt es natürlich auch schon
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