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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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ein Mensch mit freiem Willen tun können. Ein anderes Beispiel ist die Annahme der »Rationalität aller Marktteilnehmer«, die dem Prinzip des »Priestertums aller Gläubigen« entspricht. Kern der protestantischen Theologie ist, dass jeder Mensch als Einzelner einsam vor Gott steht und die Kompetenz hat, die heiligen Texte zu deuten, ohne von Priestern bevormundet zu werden. Genauso ist der Homo oeconomicus völlig informiert und autonom, ohne in der Wahl seiner Präferenzen von Experten, dem Staat oder Verbraucherschützern bevormundet zu werden. Ebenso ist die Theorie der »revealed preferences« (Samuelson 2009) eng verbunden mit der urpuritanischen Idee von der »directly revealed truth«, die jeder Mensch aus der Bibel und aus der Natur ohne Hilfe von Experten direkt verstehen kann. Die Ökonomie ist die letzte vorfreudianische Wissenschaft, die sich schlicht weigert, vorbewusste und komplexe Handlungsmotive anzuerkennen.
    54 An der Spitze Nobelpreisträger Gary Becker, der die Nutzenmaximierung auf alles ausdehnte. Kostprobe Becker: »Betrachtet man Kinder als dauerhafte Konsumgüter, so unterstellt man, dass sie ›Nutzen‹ erbringen. Der Nutzen von Kindern wird über eine Nutzenfunktion oder ein Indifferenzkurvensystem mit anderen Gütern verglichen. Der Verlauf der Indifferenzkurven hängt von den relativen Präferenzen für Kinder oder, mit anderen Worten, von ›Vorlieben‹ ab« (Becker 1993, S. 190). Da der Nutzen von pubertierenden Jugendlichen stark abnimmt und gleichzeitig die Vorlieben der Eltern für Ruhe zunehmen, wäre es da nicht am besten, die Pubertierenden ins Heim zu stecken und abzuwarten, ob sie sich später wieder ein positives Vorzeichen in der Nutzenfunktion erarbeiten können? Becker wollte keine Satire auf das ökonomische Menschenbild schreiben, sondern meinte das total ernst.
    55 Nassim Nicholas Taleb lästerte mal über den US-Notenbank-Chef Alan Greenspan, der einst gewisse Ereignisse als unmöglich bezeichnete, weil sie sich noch nie ereignet hatten. Also, folgerte Taleb, muss Greenspan unsterblich sein. Sein Tod habe sich ja auch noch nie ereignet.
    56 Das meinte Straubhaar auch ganz konkret auf die Ökonomen bezogen: »Wenn der Mainstream der Meinung ist, dass Finanzmärkte effizient sind, dann ist es für Abweichler enorm riskant, gegen das Kartell jener zu opponieren, die als Insider über die Vergabe von Professorenstellen, Forschungsaufträgen und Budgets bestimmen« (Straubhaar 2011).
    57 Euchner 1980, S. 45.
    58 Goethe spielt im Faust darauf an: »Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.«
    59 Der englische Utilitarismus brachte es fertig, eine Lust-Philosophie zu entwickeln, die zwar Lust zum zentralen Antriebsmotiv des Menschen erklärte, aber in der Praxis alles vermied, was auch nur entfernt mit Lust, Genuss oder Muße zu tun hatte.
    60 Hume 2003, S. 204.
    61 Campbell 1987.
    62 Schrage 2009, S. 122.
    63 Weber hatte den »reinen Gefühlspietismus« als »religiöse Spielerei für leisure classes« abgetan (Weber 2006, S. 125).
    64 Schrage 2009, S. 125.
    65 Schrage 2009, S. 128.

3 Immer bessere Menschen
    »Ihr sollt also vollkommen sein, wie es auch euer himmlischer Vater ist …«
    Ich bin kein Raucher, aber die Raucher tun mir leid, wenn sie im kalten Winter frierend auf dem Bürgersteig stehen und an ihren Zigaretten ziehen. So schnell kann das gehen, von einer coolen zu einer geächteten Gruppe zu gehören. Jean-Luc Godards Film Außer Atem , vor fünfzig Jahren gedreht, bestand im Grunde nur aus Szenen, in denen ein existenzialistischer Jean-Paul Belmondo seine Gauloises rauchte. Heute trägt die blaue Schachtel eine Todesanzeige: Rauchen gefährdet die Gesundheit. Als ob das für Motorräder oder Leitern nicht auch gelten würde. Logisch ist die Anti-Raucher-Kampagne nicht. Ich empfinde sie als Element einer Tugendwelle, die immer mehr Fahrt aufnimmt.
    Moralisch wird seit einiger Zeit aufgerüstet: Der Staat betätigt sich als Erzieher. Die Unternehmen machen mit, und auch die Medien sind dabei. Offenbar betrifft die Steigerungslogik des puritanischen Kapitalismus nicht nur die Arbeitsleistung und den Konsum, sie hat auch die Moral ergriffen, und das macht mir Angst. Der Moralismus ist der sicherste Weg in die Unzufriedenheit, und mein Verdacht ist, dass es ihm auch genau darum geht. Der französische Soziologe Émile Durkheim sagte: »Ein unerreichbares Ziel zu verfolgen bedeutet, zu ewiger Unzufriedenheit verdammt

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