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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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zu sein.« 1
    Wir sind schon gut, aber es geht noch besser.
    Beginnen wir beim Staat, der seine Untertanen disziplinieren will. Sie sollen teure erneuerbare Energien nutzen sowie ökologischer und gesünder leben. Alles natürlich nur zu ihrem Besten. Die Raucher hat er schon vor die Tür von Büros und Restaurants verbannt. 2 Den Vermietern und Arbeitgebern verbietet er Vorurteile. Sollten sie sich dabei erwischen lassen, sieht das Antidiskriminierungsgesetz Strafen vor. Das Gesetz entlastet die Gleichstellungsbeauftragten, die so schon genug damit zu tun haben, die moralisch zurückgebliebenen Bürger auf den rechten Weg zu bringen.
    Das Fernsehen entwickelt eigens Sendeformate wie Prominent , die dem Bürger Fehlverhalten vorführen, damit er daraus lernt und an sich arbeitet. Prominente werden dabei »erwischt«, wie sie einen über den Durst trinken, fremdgehen oder gar ungeschminkt im Park spazieren. In der nach oben offenen Verfehlungsskala werden alle Arten von Fauxpas angeprangert, selbst solche sind auf der Liste, für die nicht einmal die strenge Queen Viktoria Bußübungen vorsah, etwa wenn sich der noch minderjährige Justin Bieber in der Nase bohrt. Die Macher gehen implizit von einem Idealmenschen aus mit perfekter Moral, perfekter Figur, perfekten Kindern und unzerstörbarem Selbstoptimierungswillen. Der Star, der eben noch unvorteilhafte Cellulite unter dem verrutschten T-Shirt erkennen ließ, wird ein paar Folgen später wieder so gezeigt, wie es sich gehört 3 : fit, sexy, lächelnd und makellos. 4
    Auch die politischen Medien werden immer unerbittlicher. Exbundespräsident Wulff jagten sie nicht nur mit zweifelhaften Vorverurteilungen aus dem Amt, sie wollten ihm auch noch die bürgerliche Existenz nehmen. »Tugendterror« 5 nennt Zeit -Chefredakteur Giovanni di Lorenzo den medialen Skandalisierungsfuror, der sich oft an Peanuts hochzieht. Gemessen an heutigen Maßstäben hätte früher kaum ein Politiker die Amtseinführung überstanden: weder Partykönig Walter Scheel noch Klüngelkaiser Johannes Rau, um nur bei den Bundespräsidenten zu bleiben.
    Die Gesellschaft schwimmt auf einer Tugendwelle: Immer mehr Menschen leben vegetarisch, weil sie mit den Tieren mitfühlen und den Verzehr eines Schnitzels nicht übers Herz bringen. Eine grüne Sittenpolizei überprüft Ökobilanzen und achtet auf ökologisch korrekte Lebensführung. Der puritanische Geist ist hier noch ganz ursprünglich asketisch und hat es geschafft, uns jeden Genuss nachhaltig zu verderben. Bei allem, was wir tun, soll uns das schlechte Gewissen begleiten. Jeder macht sich mitschuldig daran, dass Regenwälder abgeholzt werden und das Weltklima vor die Hunde geht, und jeder soll beim täglichen Einkauf die Welt retten.
    Spenden statt Weihnachtsgeschenke.
    Auch die Unternehmen haben dem Moralismus längst ihre Tore geöffnet. Sie richten Compliance-Abteilungen ein, deren Aufgabe es ist, die Mitarbeiter zu Wohlverhalten zu erziehen. Sie sollen nicht nur die gesetzlichen Vorgaben einhalten, sondern auch noch eine ganze Menge anderer »freiwilliger« Regeln beachten, die der Vorstand sich ausdachte beziehungsweise die er der Einfachheit halber aus dem unerschöpflichen moralischen Arsenal von Nichtregierungsorganisationen übernommen hat. Bis zu hundert Mitarbeiter starke Abteilungen sorgen dafür, dass die Unternehmen sauber werden: Bestechung, Korruption, Vorteilsnahme, Schlendrian, Umweltfrevel, Datenmissbrauch, alle Arten der Diskriminierung und so weiter sollen systematisch beseitigt werden. Firmen verabschieden »Mission Statements« und »Code of Conducts«, die Mitarbeiter müssen sich zum Guten »committen«. Es ist schon so weit, dass Führungskräfte »Angst vor Weihnachten« haben, wie die Wirtschaftswoche 6 schrieb, denn die Firmengeschenke könnten teurer als 35 Euro sein und damit ein Fall von Bestechung. Zu Weihnachten schickte mir ein Geschäftspartner statt wie früher eine Flache guten Rotweins nun eine E-Mail, in der er kundtat, dass der Gegenwert des Geschenks diesmal an ein Dritte-Welt-Projekt gespendet würde, das das Geld nötiger hätte als die Kunden den Wein. Ich fragte mich, was das eine mit dem anderen zu tun hat. Nichts natürlich, die Aktion biedert sich nur noch zusätzlich an die Compliance-Sauberkeit an.
    Zur moralischen Aufrüstung gehört auch das System der allseitigen Beurteilungen, für das sich die Bezeichnung 360-Grad-Feedback eingebürgert hat. Ziel ist hier ebenso die Überwachung, vor allem

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