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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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der Führungskräfte. Haben sie sich auch gegenüber allen Partnern, sei es Mitarbeitern, Kunden, Investoren, den NGO s oder der Gesellschaft, moralisch einwandfrei verhalten? Die Beurteilten bekommen ein Zeugnis, das ihr Leistungsprofil in allen Beziehungen einstuft und aufzeigt, wo sie noch Potenzial haben, wobei Potenzial bedeutet: Der Betroffene muss sich verbessern, er ist noch nicht perfekt.
    Ein weiterer Moralisierungsschub kommt aus dem Internet: Von unten haben die Nerds und Geeks den früheren Pranger in den Shitstorm verwandelt. Die empörte Masse entlädt ihren Zorn gegenüber unbotmäßigem Verhalten durch eine große Menge an negativen und beleidigenden Kommentaren in Foren, Blogs oder sozialen Netzwerken. Die Reputation des »Sünders« soll beschädigt werden. Da reicht schon wie bei Brüderle eine müde Dirndl-Bemerkung, um eine Sexismusdebatte auszulösen. Von oben verhelfen kalifornische Internetkonzerne wie Google und Facebook über ihre Medienmacht den Nerds zu ihrer moralisierenden Wirkung. Die Drohung, öffentlich gebrandmarkt zu werden, funktioniert schließlich nur, wenn es einen Pranger gibt, und als solche fungieren Google und Facebook.
    Große Erwartungen.
    Auch bei der Moral befinden wir uns offensichtlich in einer Steigerungsspirale. Phänomene wie Shitstorm, Compliance oder die Ökosittenpolizei ergeben insgesamt einen wachsenden Druck. Wohin sich der Bürger auch wendet, überall steigen die Erwartungen an ihn, sich moralischer zu verhalten. Die Optimierung ist das ausdrückliche Ziel. Die Idee einer perfekten Gesellschaft steckt auch hinter der Transparenz-Ideologie von Internetaktivisten (WikiLeaks) und in der Weltrettungsagenda der Ökofundamentalisten. Es geht ausdrücklich um Maximierung, egal, ob es sich um Wohlverhalten im Unternehmen, gegenüber der Natur (eigentlich: den Naturschützern) oder gegenüber Antidiskriminierungsvorschriften handelt. Seit eh und je liebt der Puritanismus die politisch korrekten Musterschüler, die es verstehen, sündlos zu erscheinen, obwohl sie es nicht sind. Auch hat er an verklemmter Prüderie bis heute nichts eingebüßt. Mit Facebook und Talkshows kann er seine Neigung, die Sünder an den Pranger zu stellen und öffentlich beichten zu lassen, in gesteigerter Form ausleben, und der Ökoasketismus ist eine willkommene Gelegenheit, den Menschen die Freude am Leben zu verderben, indem sie mit einem schlechten Gewissen erpresst werden. Jeder, der die Mechanismen der moralischen Korrektheit kennt, etwa aus Nathaniel Hawthornes Roman Der scharlachrote Buchstabe oder Stefan Zweigs Castellio gegen Calvin , weiß, dass die Doppelmoral umso größer wird, je mehr und strikter die Moralgesetze die Bevölkerung disziplinieren sollen. Wegen seiner leitkulturellen Dominanz schwappt dieser zumeist scheinheilige Moralismus aus dem angelsächsischen Raum nach Europa und Deutschland, wo er leider zunehmend übernommen wird, zumal er hierzulande auf verwandte Dispositionen trifft. Wie ich an einigen Stufen der Moraleskalation zeigen werde (360-Grad-Feedback, Compliance, Ökopuritanismus), erleben wir hier tatsächlich eine Puritanisierung.
    Du wirst der, der zu sein von dir verlangt wird.
    So führt der Soziologe Ulrich Bröckling das 360-Grad-Feedback in einer eingehenden Untersuchung zurück auf die »protestantischen Sekten, deren Mitglieder in regelmäßigen Gemeindeversammlungen voreinander ihre Verfehlungen, aber auch ihre gläubigen ›Werke‹ zu bekennen und einander zu ›vermahnen‹ hatten. Max Webers soziologische Funktionsbestimmung dieser Zusammenkünfte klingt jedenfalls hochaktuell: ›Die Gemeinschaft diente hier als der Ausleseapparat, der den Qualifizierten vom Nichtqualifizierten unterscheidet.‹« 7
    In der Tat ist das 360-Grad-Feedback sowohl in seiner Grundidee als auch in seiner verlogenen Praxis ein würdiger Nachfahre der puritanischen Buße. In einem umfassenden System allseitiger Beurteilungen standardisiert es Verfahren der Mitarbeiter-, Selbst- und Kundenbefragung und dehnt es auf alle möglichen Partner aus. Ziel ist natürlich die Leistungsermittlung und die Leistungsoptimierung. Die Mitarbeiter, der Vorgesetzte, die Kunden, die Lieferanten, die Kommune, die Finanzinvestoren, die Presse, alle – deshalb »360 Grad« – geben Bewertungen (in Form von Fragebögen) ab. Ist der Arbeitnehmer kreativ, ist er kundenfreundlich, genießt er Vertrauen, ist er teamfähig, geht er sparsam mit Ressourcen um, ist er sachlich kompetent, ist er

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