Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
einfach brav dem Trend, den die angelsächsischen Kapitalmärkte vorgeben 10 – undenkbar, dass einem Inder oder Araber ein solches System einfallen würde.
Für die Mitarbeiter ist die Compliance-Regulierung allerdings folgenreich: Sie können unmöglich alle Regeln präsent haben, sodass Angst und ein schlechtes Gewissen zum ständigen Begleiter werden. Irgendeine der vielen Vorschriften hat man eventuell doch verletzt. Das Policy & Control Masterbook von Siemens enthält mehr als 740 konzernweit gültige Richtlinien. Die Mitarbeiter stehen dadurch viel stärker in der Haftung, denn das Unternehmen kann im Zweifel darauf pochen, dass es Richtlinien, etwa gegen Bestechung, erlassen und sich der Mitarbeiter nicht dran gehalten hat. Die strengen Regeln haben die Unternehmen bereits verändert: Geschenke werden nicht mehr angenommen, Geschäftsessen fallen mickrig aus, jeder zahlt selbst, alles wird formalisiert, da ohnehin persönliche Beziehungen verdächtig geworden sind. Die Hotelbudgets für Mitarbeiter werden gekürzt. Es ist jetzt ganz klar, dass auf den Preis geachtet wird, auf die Kosten für das Unternehmen. Ein gutes Hotelzimmer könnte zwar auch die Wertschätzung für den Mitarbeiter ausdrücken, aber das ist keine Priorität mehr. Events werden reduziert, weil pro Kopf gewisse Obergrenzen nicht überschritten werden dürfen.
Dass zu einer Kultur auch Freigiebigkeit gehört, kommt in dieser kleinkarierten Herrschaft des Gesetzes nicht vor. Als ob Gastfreundschaft gleich korrupt wäre. Großzügigkeit war noch nie die Stärke der Puritaner, dafür haben sie jetzt ein umfassendes standardisiertes Reglementierungssystem geschaffen, das mit einer firmeninternen Polizei, genannt Compliance-Abteilung, auch gleich für die nötige Überwachung sorgt. So ergänzen sich Moral und Profit wunderbar: Compliance diszipliniert die Mitarbeiter und senkt die Kosten.
Selbst wenn der ehrgeizigste und gläubigste Selbstoptimierer auch alle Feedbacks beherzigen wollte, so stößt er doch auf uneinlösbare Anforderungen. Er muss in sich die Extreme vereinen. Er ist alles zugleich: »der durchsetzungsstarke Teamplayer und der teamfähige Einzelkämpfer; der kundenorientierte Glattling mit Ecken und Kanten« 11 . Er geht energisch voran, nimmt aber alle mit. Er überblickt das Ganze, kennt aber auch alle Details. Er hört auf die Intuition, checkt aber zugleich alle Zahlen. Er ist immer erreichbar, hat aber eine gute Work-Life-Balance. Er ist makellos und perfekt. Bei Porsche hängt ein Teil der Prämie von der Kundenbewertung ab, gleichzeitig soll der Porsche-Verkäufer die firmeninternen Benimmregeln internalisieren, darunter einheitliche Kleidung, Aufstehen bei der Begrüßung, ein ganzer Knigge an standardisierten Wohlverhaltens- und Freundlichkeitsregeln. Das ist ein Beispiel dafür, wie das Management von Gefühlen der Mitarbeiter bereits von den Unternehmen perfektioniert wird. In vielen Dienstleistungsberufen wird verlangt, dass man seine Emotionen völlig in den Dienst der Firmeninteressen stellt. Kunden sollen durch positive Emotionen gebunden werden. Für die Mitarbeiter bedeutet das einerseits, dass dass sie dauerhaft schauspielern müssen, und dass sie diese innere Unaufrichtigkeit psychisch belastet. Das gekaufte Herz nannte Arlie Hochschild 12 die Ökonomisierung der Gefühle. Zu den uneinlösbaren Forderungen, alle und damit auch gegensätzliche Anforderungen erfüllen zu müssen, muss der Selbst-Optimierer also auch noch die gewünschte Programmierung seiner Gefühle leisten.
Weil der Mitarbeiter alle Ziele gleichzeitig gar nicht erreichen kann und sich zugleich über die Feedback-Schleifen immer stärker mit den vorgegebenen Zielen identifiziert, wächst natürlich die Unzufriedenheit mit sich selbst. 13 Diese Überforderung »hält den Einzelnen in einem Zustand fortwährender Kritisierbarkeit und erzeugt eine Daueranspannung, die ihn niemals zur Ruhe kommen lässt«. 14
Der Mitarbeiter soll einen »idealen Lebenslauf« absolvieren, was im Prinzip der idealen Biografie in den calvinistischen Gemeinden entspricht. Der einflussreiche Prediger Cotton Mather beschreibt in seiner Magnalia Christi Americana von 1702 die Vorbildlichkeit eines frommen Charakters: die Kontrolle der eigenen Äußerungen, die Abwehr von Lastern wie dem Rauchen und Trinken, das Eingestehen eigener Sünden, das Bekenntnis, noch perfekter in der Lebensführung zu sein, wozu penibles Tagebuchführen gehört. Hinzu kamen Gebete und
Weitere Kostenlose Bücher