Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
ständiges Abgleichen von Inszenierungswelten, wobei die Festlegung gescheut wird, weil der Aufwand, sich davon dann wieder distanzieren zu müssen, wenn sie uncool geworden ist, einfach zu hoch ist. Ironie ist wichtig, sie ist eine Maske, wie das Dummstellen bei Katzenberger. Die Essayistin Christy Wampole 3 wirft den Hipstern vor, dass ihr ironischer Lebensstil, der nichts ernst nimmt, jeglicher Verantwortung aus dem Weg geht. Auf ihre Weise sind sie schlau und stellen sich ironisch. Nichts ist so gemeint, wie es aussieht. Hipster unterhalten sich sarkastisch, sie sind wandelnde popkulturelle Zitate. Vielleicht zeigt sich gerade in dieser Jugendkultur am klarsten der Widerspruch, der unsere Epoche ausmacht: die Kluft zwischen dem verzweifelten Anspruch auf originelle Authentizität und der Konformität eines dann in der Praxis recht unauffälligen Daseins. »Eine Gesellschaft, die Konformismus braucht, und Personen, die Individualität wollen, funktioniert nur mit viel Bluff, mit Selbsttäuschung und Heuchelei«, schreibt Manfred Prisching. 4
»Wir leben in einer Zeit der Bluffer«, bemerkt auch die Schriftstellerin Sibylle Berg. Dabei hat sie vor allem die ganz oben im Blick, den Doping-Radstar Lance Armstrong oder den Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg: »Das Faken von Leistungen, das Angeben, Täuschen scheint eine Begleiterscheinung des sich selbst fressenden Kapitalismus zu sein.« Angeber und Lügner gab es schon immer, doch der »Kapitalismus in seiner Jetzt-Form scheint zu bedeuten: Verkauf jedem deinen Müll gut« 5 , meint Berg. Jeder kann sich eine lange Liste dieser Bluffer vorstellen: Dieter Bohlens Superstars, die nie welche werden. Oder die Piraten, die so transparent intransparent sind. Oder Banker, die sich trotz Kollektivbankrotts noch für besonders kompetent halten.
Mit dem Druck, sich ständig neu erfinden zu müssen, werden die Menschen immer weniger fertig.
»Die steigende Zahl von Erschöpfungsdepressionen könnte auf der ständigen Vortäuschung einer anderen Persönlichkeit beruhen«, meint Berg und ist damit auf der richtigen Spur. Der französische Soziologe Alain Ehrenberg führt den Anstieg der Burn-out-Erkrankten darauf zurück, dass viele mit dem ständigen Zwang zur Selbstinszenierung einfach überfordert sind und daher ihren Lebenslauf schönen, ihren Körper tunen, Amphetamine einwerfen, die Produkte ihrer Arbeit faken oder einfach alles auf einmal haben und sein wollen. Mit dem Druck, sich ständig neu erfinden und positionieren zu müssen, werden die Menschen immer weniger fertig. Ehrenberg belegt das mit der flächendeckenden Zunahme der Antidepressiva. Der Stressreport 2012 6 der Bundesregierung hat ermittelt, dass allein am Arbeitsplatz die Zahl psychischer Belastungen in den letzten 15 Jahren um 80 Prozent zugenommen hat.
Die Jagd nach dem authentischen »Wer bin ich und sollte ich jetzt sein?« treibt viele in die »narzisstische Erschöpfung«. Die Kehrseite der Selbstverwirklichung ist die Angst, bei der Ich-Werdung zu scheitern und die Freiheitsspielräume und Wahlmöglichkeiten für ein gelingendes Leben nicht zu nutzen. »Weil aber immer mehr Menschen am Ideal des selbstbestimmten Lebens scheitern, werden narzisstische Persönlichkeitsstörungen und depressive Erkrankungen zu Volkskrankheiten«, schreibt Ehrenberg. 7
Die psychischen Erkrankungen haben sich fundamental verschoben. Zu Sigmund Freuds Zeiten, als der Kapitalismus noch offen repressiv war, litten die Menschen unter Neurosen, der Zwangsneurose zum Beispiel: Frauen, die zwanghaft putzten, und Männer, die den Rasen mit der Nagelschere stutzten. Die Neurose war noch die Krankheit des Einzelnen, den der Konflikt zwischen dem Erlaubten und dem Verbotenen zerriss. Die Depression ist dagegen die Krankheit des scheinbar freien Einzelnen, der die Spannung zwischen dem Möglichen und dem Unmöglichen nicht bewältigt. »Wenn die Neurose das Drama der Schuld ist, so ist die Depression die Tragödie der Unzulänglichkeit.« 8 Mit dem Siegeszug der Selbstentfaltung seit den 60er Jahren nehmen die Depressionen zu. Einst war das Individuum unglücklich, weil es unter Zwang stand, heute, weil es unter einem »erschöpften Selbst« 9 leidet.
Wer scheitert, hat nicht genug getan.
Die Gesellschaft fordert vom Einzelnen zu viel: Er muss auf der einen Seite seine Unverwechselbarkeit herausstellen und als authentischer Charakter auftreten, dem man einen eigenen Standpunkt zutraut. Andererseits darf er keinen Zweifel
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