Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
daran lassen, dass er im Beruf perfekt funktioniert. Sein Lebenslauf muss diese Anpassungsleistungen nachweisen. Der Einzelne muss sich optimal selbst vermarkten, muss demonstrieren, dass er die Konsumoptionen nutzt, dass er die Bluffs und Inszenierungsweisen beherrscht, dass er für alles offen und damit einsetzbar ist. Schließlich muss der Einzelne sein Ich unablässig selbst beobachten und zeigen, dass er seine Emotionen beherrscht und die Benimmcodes kennt und an seiner Sozialkompetenz arbeitet. Was verlangt wird, ist Selbstdisziplin und Selbstoptimierung. Und Schuldbewusstsein, denn wer scheitert, obwohl es doch jeder schaffen kann, wenn er nur will, der hat nicht genug getan. Wenn er krank wird, dann hat er nicht genug für seine Gesundheit getan. Wenn das Aktiendepot an Wert verliert, hat er nicht gut genug investiert.
Ehrenberg geht davon aus, dass in Zukunft noch mehr Psychopharmaka eingenommen werden, um die Stimmung zu verbessern, die Selbstbeherrschung zu erhöhen und die »Schrecken der Existenz« abzumildern. In den USA nimmt der Einsatz von Prozac bei Kindern kontinuierlich zu. »In einer Gesellschaft, in der Menschen ständig psychoaktive Substanzen einnehmen und so künstlich die Stimmung verändern, kann man nicht mehr sagen, wer jemand selbst ist, ja nicht einmal, wer normal ist.« 10
Was muss nicht noch alles optimiert werden: der Körper (mit Jogging und Schönheitsoperationen), das Hirn (mit Drogen und Gehirndoping), das Essen (mit Functional Food), das Trinken (mit Energydrinks), der Sex (mit Viagra), das Lernen (mit Schnelllesetechnik), die Moral (mit 360-Grad-Total-Feedbacks), das Soziale (mit Facebook). Jede einzelne dieser Optimierungen hat ihre Anhänger, und jede soll uns das Leben, nein: unsere Performance, erleichtern. Aber wir wissen inzwischen, dass sie das nicht tun. Sie erhöhen den Druck, sie machen die Zeit schneller, sie lassen uns nicht zur Ruhe kommen – und genau darin liegt auch ihr tieferer Sinn: Entspannung ist Sünde, die Optimierung der Zeit ist die puritanische Urtugend: Schlaf, Muße, Luxus sind seit jeher verdächtig.
Immer wahnsinnig gut drauf sein oder: Die Religion des positiven Denkens.
Zum Modus der Selbstinszenierung gehört heute, dass jeder so tun muss, als sei er besonders erfolgreich. Das erste Gebot des Bluffens ist, einen glücklichen Eindruck zu machen. Man ist immer wahnsinnig gut drauf. Ein Grund für den Boom der Happy-Pillen, der Glücksratgeber und der Idealisierung des Glücks ist, dass es diesen Druck gibt, die erfolgreiche Selbstinszenierung auch unter Beweis stellen zu müssen. In den USA hat die Happiness-Industrie noch eine viel größere Dimension als bei uns. Aber auch hier ziehen wir nach. Die Bewegung nennt sich »positive thinking«, zu Deutsch: positives Denken. Es geht dabei um den alten amerikanischen Traum, dass jeder reich und erfolgreich sein kann, wenn er hart arbeitet und es nur will. Wieso soll das für das Glück nicht auch gelten? Glück, Gesundheit, Reichtum sowie beruflicher und privater Erfolg sind für jeden jederzeit erreichbar, vorausgesetzt, er programmiert sein Bewusstsein auf eine positive Grundhaltung um. Selbst Krebskranke werden von besonders eifrigen »Positiv-Denkern« vor einer »negativen Haltung« gewarnt, denn die könne den Heilungsprozess gefährden.
Das positive Denken hat seine »dunklen Wurzeln« im Calvinismus. Diese Herkunftsgeschichte legt die amerikanische Autorin Barbara Ehrenreich in ihrem informativen Buch Smile or Die 11 ausführlich dar. Es ist wirklich verblüffend, wie sich der puritanische Geist über Jahrhunderte treu bleibt: Er will kein gutes Leben, er versteht es auf geradezu meisterliche Weise, das Glück zu sabotieren – bis heute. Zu allem Überdruss hat der puritanische Geist jetzt auch noch das Glück unter seine Fittiche genommen und wendet seinen simpelsten Schachzug an: Er macht das Glück zur Pflicht. Glück ist machbar, und wer nicht glücklich ist, der hat eben nicht hart genug gearbeitet und nicht intensiv genug an sich geglaubt (oder zu Gott gebetet, in der evangelikalen Variante).
Ehrenreich schildert, wie sich aus der bitteren Askese im 19. Jahrhundert die boomende Glücksindustrie der Gegenwart entwickeln konnte und wie die Glückssteigerung von heute, ähnlich wie die Askese früher, durch die Pflicht zur ständigen Selbstbeobachtung und Selbstoptimierung das Glück verhindert. Über Personen, Prediger und religiös-psychologische Bewegungen lässt sich die
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