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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Geschichte des positiven Denkens sehr gut zu den Wurzeln des Calvinismus zurückverfolgen.
    Am Anfang des positiven Denkens steht erst mal das Gegenteil: ein zorniger Gott. Mitleidlos und völlig willkürlich hatte er die Menschen »zum Leben oder zum Tode vorherbestimmt«. 12 Nach Calvin sollten die Menschen in ständiger Angst leben, »damit wir gedemütigt und niedergeschlagen lernen, vor seinem Gericht zu erzittern und zu seiner Barmherzigkeit emporzuschauen.« 13 Jeder hatte sich ständig selbst zu befragen und durch harte Arbeit vom Sündigen abzuhalten. Emotionalität, wie freudiges Lachen oder Weinen, war strikt verpönt, es wurde eine Härte gegen die eigenen Gefühle eintrainiert. Gott sah alles, und er war ein strafender Gott.
    Im 19. Jahrhundert lockerte sich die »Angst vor der Hölle«, und freundlichere Varianten des Calvinismus wurden möglich. Eine entwickelte Mary Baker Eddy, die Tochter eines eifernden calvinistischen Farmers. Bakers einflussreiche »Neugeist«-Bewegung behauptete, dass Gott Geist ist und alle Menschen Teil dieses allumfassenden Geistes. Die Welt, wie sie Gott geschaffen hat, ist vollkommen. Wer also krank ist, der muss lediglich seinen Geist durch positive Gedanken heilen, dann wird er gesund. Das Ganze klingt einigermaßen absurd, aber Mormonen oder Pfingstler, religiöse Bewegungen, die damals ebenfalls entstanden, predigen nicht weniger absurde Lehren. Eddy war zwar bei echten Krankheiten erfolglos, aber bei der überall anzutreffenden »religiösen Schwermut« war sie mit ihrer mutmachenden Neugeist-Therapie erfolgreich. 14 Zusammen mit ihrem Mentor, Phineas Quimby, dem Urvater des positiven Denkens, erklärte sie das Universum für grundsätzlich gut und gütig. Bemerkenswert daran ist, dass William James, der erste amerikanische Psychologe und Verfasser des Wissenschaftsklassikers Die Vielfalt religiöser Erfahrung, sich für Eddys »Religion« begeisterte. Er fühlte sich zwar als Wissenschaftler abgestoßen vom »optimismusbesessenen neugeistigen Denken« 15 , aber er hielt Eddy zugute, sie befreie die Menschen von Ängsten und ihre pragmatische »Sorge dich nicht«-Bewegung habe die Krankheit des Calvinismus geheilt und verbiete sogar das Klagen über schlechtes Wetter.
    Gott hatte sich gewandelt, er wurde freundlicher. Der Calvinismus blieb sich allerdings treu, vor allem im entscheidenden Aspekt, seinem Gebot der ständigen Selbstbewertung und der inneren Arbeit der Selbstprüfung. »Auch dem Positivdenker sind Gefühle suspekt, und er ist angehalten, sein Innenleben unablässig zu überwachen«, schreibt Ehrenreich. »Ein Calvinist forschte in seinen Gedanken und Gefühlen nach Anzeichen von Nachlässigkeit, Sünde und Zügellosigkeit, ein Anhänger des positiven Denkens hält ständig Ausschau nach mit Ängsten oder Zweifeln beladenen negativen Gedanken.« 16 Der Calvinist hadert mit sich wegen seiner Sünden, der Positivdenker hadert mit sich wegen seiner Negativität. Das positive Denken ist eine Selbstdressur, ein Umprogrammieren des eigenen Ichs zu einem Soll-Ich mit der Aussicht auf irdisches Glück, wenn man nur intensiv genug daran glaubt. Auch an der »Gefallenheit« des Menschen hat sich nichts geändert: Das Fleisch ist schwach, aber der Geist kann das Ich erlösen, indem er unablässig an sich arbeitet. 17
    Wie schon die Urpuritaner ihre Schäfchen zum Führen eines Tagebuchs anhielten, so verlangen die Ratgeber des positiven Denkens das Ausfüllen von Tests und Fragebögen zur Selbsteinschätzung sowie das Abarbeiten von Checklisten. Die moderne Managementliteratur 18 knüpft hier an.
    Im 20. Jahrhundert verlegten sich das positive Denken wie auch die evangelikalen Mega-Churches immer stärker auf die Propagierung von Wohlstand und Glück. Da ja sichergestellt war, dass hart am Ich gearbeitet wird und das Ziel absoluter Perfektion nicht infrage steht, konnten auch Puritaner das Glück propagieren. Dass das Glück auf diese Weise verfehlt wird, ist sicher.
    In der antiken Lehre vom guten Leben wird eine Balance von Wohlstand und Glück angestrebt. Doch die Alten wussten: Glück ist nicht machbar. Nach Aristoteles gehören dazu Glücksgüter, über die wir nur sehr eingeschränkt verfügen können. Ob wir gesund bleiben, ob wir neurotisch oder extravertiert sind, ob wir in einem Land ohne Krieg leben, welche Begabungen wir haben, die uns Erfüllung schenken, ob wir Eltern haben, die uns lieben, so wie wir sind, ob wir einen Lebenspartner finden, ob wir

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