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Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind

Titel: Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Max. A Hoefer
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Kinder haben, die sich gut entwickeln – all das steht nicht in unserer Macht, beeinflusst aber unser Glückserleben massiv. Wir können es nur eingeschränkt beeinflussen, und wer es erzwingen will, macht oft mehr kaputt und kommt dem Glück damit nicht näher. Die aristotelische Idee der Balance will von vornherein nicht das Maximum, sondern die Mitte. Es ist ähnlich wie in Lao Tses Tao Te King: »Tue dein Bestes, was in deiner Kraft steht, und dann lasse los.« Denn ob sich das, was du heute am meisten anstrebst, morgen vielleicht als großes Unglück erweist, das weiß man eben immer erst hinterher. Perfektionierung oder gar Maximierung von Glück verfehlt es mit größter Wahrscheinlichkeit.
    Die meisten der amerikanischen Glückspropheten legen Wert darauf, dass der Einzelne durch positives Denken effizienter und erfolgreicher wird und dadurch auch glücklicher. Das Glück ist nur Mittel zum Zweck. Doch Glück ist ein Wert an sich, ein Zustand ohne weiteres Verlangen: der erste Kuss, eine Fuge von Bach, eine Skiwanderung auf den Wilden Kaiser, das erste »Papa« des Kindes – das ist Glück, und es muss nicht gesteigert und perfektioniert werden. Dinge mit tieferer Bedeutung sind nicht effizienter zu machen. Oder weiß jemand, wie man effizient küsst oder wie man den Film Die fabelhafte Welt der Amélie effizient sieht? Glücksmomente entziehen sich der Logik von Maximierungsskalen, und Zufriedenheit kann man auf unterschiedlichen Niveaus erlangen, es braucht dazu kein »Mehr ist besser als weniger«.
    Das positive Denken begann als religiöses Phänomen und ist heute eine psychologisch und spirituell mächtige Bewegung. Der Anteil von Pfarrern und Pfarrerskindern unter den Managementgurus und positiven Denkern ist hoch. Es war der protestantische Pfarrer Norman Vincent Peale, der 1952 der Bewegung mit Die Kraft des positiven Denkens ihre Bibel gab, die sie bis an die Welt der Wirtschaft heranführte. Die Psychologie dieses Ratgebers und vieler seiner Nachfolger ist eine krude Mischung aus B. F. Skinners behavioristischer Konditionierung 19 und kognitiver Verhaltenstherapie: Man gebe sich einfach ein klares Ziel und halte daran fest, dann wird man es auch erreichen. Wer dauernd an Erfolg denkt, wird auch erfolgreich. Wer an Gesundheit denkt, wird gesund. In vielen Variationen wird dieser zentrale Gedanke eingehämmert: Das glückliche Leben ist ein reiner Willensakt, weshalb der Erfolg nur von einem selbst abhängt. Peale schreibt: »Wenn wir uns selbst die größten Probleme bereiten, müssen wir den Grund dafür in jenen Gedanken suchen, von denen unser Geist in der Regel beherrscht wird.« Soll heißen: Der Feind steckt in uns selbst, es sind die eigenen falschen Gedanken. Das ist Calvinismus pur. Und wer diesen Feind nicht besiegt, der ist eben dazu verdammt, unglücklich zu sein, also unerlöst. Jeder (europäische) Psychologe weiß, dass die Gedanken, von denen ein Patient beherrscht wird, und die tieferen Verstrickungen, von denen seine Probleme herrühren, alles andere als identisch sind. Einem Narzissten hilft es wenig, sich mit seinen größenwahnsinnigen Gedanken auseinanderzusetzen. Der Therapeut wird sich besser seiner Mutter-Bindung zuwenden.
    Dafür hat man umgekehrt irgendwie den Eindruck, dass der Narzisst, zumindest in der Variante des von sich selbst überzeugten Größten und Besten, ziemlich genau den Zielpunkt dieser positiven Selbstkonditionierung darstellt. 20
    In der 80er Jahren fielen dann bei den Managementgurus und den positiven Denkern alle Hemmungen. Der NLP -Trainer Anthony Robbins, der für Bill Clintons Regierung, IBM und American Express arbeitete, verspricht jedem Grenzenlose Energie . Jeder kann perfekt werden, denn: »Alles was du kannst, kann ich auch, denn ich kann es imitieren.« Wir müssen lernen, »unser Gehirn zu steuern«. Alles sei nur eine Sache des richtigen »Framings«, der Einstellung und der Zieldefinition. Jürgen Schrempp von Daimler packte das in die Formel, dass jeder Manager alles managen können muss. Ein anderer Managementguru, Brian Tracy, verkündete: »Es gibt keine unrealistischen Ziele, nur unrealistische Deadlines.« 21 Allein eine Liste dieser Aufforderungen zum Größenwahn würde Seiten füllen 22 , darunter wären ernst gemeinte Befehle wie »Legen Sie die rechte Hand auf Ihr Herz und sagen Sie ›Ich bewundere reiche Menschen‹« (von Harv Eker) oder die Empfehlung des Motivationstrainers Jeffrey Gitomer, alle »negativen Menschen« aus

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