Vielleicht will der Kapitalismus gar nicht, dass wir gluecklich sind
dem Bekanntenkreis zu entfernen, was an die Praxis der Zeugen Jehovas erinnert. 23
Manche sind von ihrer Erfolgsmasche absolut überzeugt, wie Tom Peters, der dazu überging, jedes neue Buch mit dem Hinweis zu eröffnen, in seinen früheren Büchern falsch gelegen zu haben. 24 Tom Peters wird von der Harvard Business Review immer noch auf Platz 24 der einflussreichsten Managementberater gezählt (2011). Seine Buchtitel klingen wie Unternehmensslogans: A Passion for Excellence. Es ist immer dasselbe: Exzellenz, Höchstleistungen, Effizienzsteigerung, Profitmaximierung und die persönliche Selbstoptimierung, um ganz nach oben zu kommen. Seit das positive Denken ins Management Einzug hielt, müssen die Angestellten allerdings auch noch Spaß an dieser Tretmühle vorheucheln. In der erfrischend lockeren Tragikomödie Up in the Air 25 spielt George Clooney den einsamen Workaholic Ryan, der weder zu Frauen noch zu Kollegen noch zu Familienangehörigen Beziehungen pflegt. Ryans persönliches Lebensziel ist, die Zehn-Millionen-Frequent-Traveller-Meilen-Grenze zu überwinden, was er auch erreicht, denn sein Job besteht darin, unermüdlich zu allen möglichen Betrieben zu fliegen, um dort Leute zu entlassen und ihnen dabei – mithilfe positiver Psychologie – einzureden, dass das die größte Chance ihres Lebens sei und sie endlich noch einmal neu durchstarten dürfen. Der Film thematisiert die Motivationsbranche, die längst zum Unternehmensalltag gehört.
Die Kunst, sogar eine Entlassungswelle noch als göttliche Fügung und Glückschance zu verkaufen, funktioniert dank der positiven Psychologie und wurde in Phasen des wirtschaftlichen Strukturwandels breit eingesetzt. Wenn Wandel per se positiv ist, Stehenbleiben keine Option und ständige Selbstoptimierung das Ziel, dann kann man über eine Kündigung nur positiv denken: Der Verlust des Arbeitsplatzes ist eine Chance zur Veränderung. Das ist auch die Botschaft im Klassiker der Rationalisierungspropaganda Die Mäusestrategie. Darin jammern zwei Zwergenmenschen über den Verlust ihrer Käsevorräte, bis sie von den Mäusen lernen, nicht lange dem Alten nachzutrauern, sondern sich ganz wie im Positiv-Denken-Seminar »in Gedanken ein Bild auszumalen, wie sie in einem großen Haufen aus all ihren liebsten Käsesorten sitzen«. Statt sich über Verluste zu ärgern, kommen sie zur optimistischen Einsicht, dass »sich die Veränderung im Nachhinein als Segen erwiesen hatte, weil sie sie zu einem besseren Käse geführt hatte«. 26 Wir leben in der besten aller Welten, und selbst Arbeitslosigkeit ist gut, wenn sie richtig gesehen wird, nämlich als Ansporn, jetzt das Außergewöhnliche zu leisten, oder evangelikal formuliert: Gott das Besondere mit uns tun zu lassen, das er mit uns vorhat. 27 Die Mäusestrategie verkaufte sich auch in Deutschland bestens. Handelsvertreter und Verkaufsprofis werden auch hierzulande mit Motivations-Workshops, DVD s und entsprechender Literatur dazu gebracht, an das Produkt und den Verkaufserfolg zu glauben. Mein Problem damit ist nicht, dass den Menschen Mut gemacht wird. Natürlich ist es besser, das Glas halb voll als halb leer zu sehen. Mein Problem ist die Übersteigerung, dieses naiv verdummende »Du kannst alles schaffen, wenn du nur willst«, das an den Realitäten vorbeigeht, das die Chefs und das System aus der Verantwortung entlässt und das den Einzelnen schlicht überfordert.
Die Depression ist die Kehrseite dieser narzisstischen Selbstüberschätzung, des inneren Zwangs, sich dauernd optimieren zu müssen. Arbeitslosigkeit kann und sollte tatsächlich ein Anlass sein, die eigene Lage zu überdenken, aber man muss kein Psychologe sein, um den Zynismus der Rationalisierungspropaganda zu durchschauen. Zudem ist es doch fragwürdig, die Verkäufertruppe so zu motivieren, dass sie den Menschen Produkte aufschwätzt, die sie nicht brauchen. Oder den Menschen unseriöse Karrierehoffnungen oder ewige Profite einzureden. Noch bis zur Finanzkrise glaubten die meisten Börsengurus und Analysten, dass die Party ewig weitergehe, und wer Skepsis anmeldete, wurde gefeuert. Warum hat niemand den Daueroptimisten widersprochen? Der Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman vermutete zu Recht, dass »niemand ein Spielverderber sein wollte«. 28 Daueroptimismus kann auch eine Form von Dummheit sein.
Es wird weiter geblufft, denn das Außergewöhnliche ist das Mindeste.
Obwohl wir genügend Gründe haben, das Steigerungstempo zu drosseln, und mit der
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