Vier Äpfel
erinnere mich an einen Werbespot, in dem ein Paar nackt und zerzaust morgens im Bett aufwacht und der Spur seiner im sexuellen Rausch fortgeschleuderten Kleidungsstücke folgen muß. Die Hose des Mannes hängt über dem Gartentor, das Kleid der Frau auf einem Parkscheinautomaten, sein T-Shirt weht über einer befahrenen Kreuzung an der Ampel. Ihre Schnitzeljagd endet in einem Supermarkt, zwischen zwei verlassenen Einkaufswagen finden sie ihren zweiten Schuh. Vor den Tomatensoßen waren sie sich begegnet, als hätten sie sich zufällig irgendwo im Wald getroffen, beim Beerensuchen, auf einer Lichtung, tausend Generationen zuvor.
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Ich höre Meeresrauschen und Möwengeschrei und weiß sofort, daß ich mich der Frischfischabteilung mit ihrem unverkennbaren Sounddesign nähere. Ich soll jetzt an kleineFischerboote denken, offene, seit Jahrhunderten unverändert gebaute hölzerne Nußschalen, die von den Fischern, da sind ja noch die Schleifspuren im Sand, gerade eben auf den Strand hinaufgezogen wurden, an handgeknüpfte Netze, die zum Trocknen ausliegen oder aufgehängt sind, und an frisch gefangenen Fisch in geflochtenen Körben – romantische Vorstellungen vom Fischfang also, wie es ihn nur noch in Museumsdörfern und einigen wenigen, bisher von jeder Entwicklung verschont gebliebenen Ecken einiger Entwicklungsländer gibt. Vielleicht braucht man hier Meeresrauschen und Möwengeschrei, weil Fische stumm sind, was insbesondere für die in Frischfischtheken gilt, Trophäen auf kleingehacktem Eis, die mir bedeuten: Du hast mich gefangen, du hast mich erlegt. Ein ganzer, rauchblau glänzender, gar nicht kleiner Lachs liegt da neben Forellen und Doraden. Die meisten Fische kann ich nur deshalb benennen, weil neben ihnen kleine Schildchen im Eis stecken, auf denen ihre Namen zu lesen sind. Es ist also fast wie in einer Gemäldegalerie, auch dort weiß ich meist nur durch das Hinweistäfelchen rechts unten, wer ein Bild gemalt hat. Den Schildchen läßt sich außerdem entnehmen, ob die Fische aus einer Aquakultur stammen, ob es sich also um Zuchtfische handelt, denen es gar nicht zusteht, mir zu bedeuten, du hast mich gefangen, du hast mich erlegt, oder ob sie einmal im offenen Meer geschwommen sind. Die Fische auf Eis sehen mich traurig an, das liegt, ich weiß schon, an den Augen, die toten Fische sehen mich an, und ich mache mir klar, daß ich keinen von ihnen kaufen darf, weil sie aus einer das Meer mit Medikamenten verseuchenden Fischfarm stammen oder, das zeigt das Fernsehen oft genug, entweder einem Hochseetrawler in die Netze gegangen sind, der ohne die Fördergelder der EuropäischenUnion gar nicht mehr auf den Weltmeeren unterwegs wäre, oder von einer der schwimmenden russischen oder japanischen Fischfabriken gefangen wurden, auf denen man sich an keine Fangquoten hält, da sie sowieso niemand überprüfen kann, Fischfabriken, die westafrikanischen Fischern, die in kleinen, kanuartigen Booten durch die Brandung aufs Meer hinausfahren, alles wegfischen. Hier liegt die Beute und sieht mich an und singt, wie tote Fische eben singen können, das Lied von der ungerechten Verteilung der Nahrungsmittel auf der Welt. Und ich, der Kunde, denke, daß, wenn ich einen dieser Fische kaufe, auch ich schuld daran bin, daß es bald gar keine mehr geben wird. L. hat mir einmal vom Granatbarsch erzählt, einem Fisch, der früher, als es noch genügend andere Speisefische gab, als Beifang galt und wieder über Bord geworfen wurde, nun aber, unter seinem prächtigen neuen, aus Gründen der Vermarktung gewählten Namen Kaiserbarsch in der Tiefsee vor der Küste Neuseelands und Südamerikas gefangen und als Speisefisch vertrieben wird. Er kann bis zu hundertfünfzig Jahre alt werden, nicht wenige von denen, die als Filet auf Tellern landen, sind demnach älter als die Groß- und Urgroßmütter ihrer Esser, lange vor dem Ersten Weltkrieg ist er Fischlaich gewesen. Die Sache, so hat L. gesagt, wird sich aber bald erledigt haben, denn den Kaiserbarsch, der sich sogar tief im Meer nicht verstecken kann, wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben, genau wie den Dornhai, den man, geräuchert, als Schillerlocke verkauft.
30
In das Lautsprecher-Meeresrauschen mischt sich das Gluckern der Pumpe in dem Aquarium rechts, in dem drei müde Hummer, die Scheren mit Gummibändern zusammengehalten, wie tot im Wasser liegen. Es riecht nach Meersalz, aber ich frage mich, ob es ein Duft ist, der aus einer Aromadüse strömt, oder ob ich mir den
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