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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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alles nur, weil die Städte- und Landschaftsnamen der Wurstwaren   – Lyoner, Wiener, di Parma – voller Verheißungen sind, ein Trick, auf den ich immer wieder, jede Woche gern, hereinfalle. Kaum habe ich beschlossen, mir wie sonst den Schwarzwald und Mailand zu kaufen, da höre ich die erste der beiden Frauen vor mir in der Schlange um Leberwurst bitten. Leberwurst klingt, ich kann mir nicht helfen, wenig verheißungsvoll. Habe ich bloß deshalb noch nie in meinem Leben Leberwurst gekauft? Im Einkaufswagen der Leberwurstfrau liegen zwei Packungen Knäckebrot, Kartoffeln, Margarine und eine Salatgurke. Es sieht nicht so aus, als kaufte sie für eine Familie ein. Prompt stelle ich mir vor, wie sie am Abend an ihrem Eßtisch im Wohnzimmer vor dem Fernseher sitzt und ißt, wahrscheinlich gegen sieben, vielleicht auch erst um acht. Und ich stelle mir weiter vor, wie sie ganz spät in der Nacht, sie kann nicht schlafen und weiß nicht, warum, in ihre kleine Küche geht und sich nocheinmal eine Scheibe Knäckebrot mit Leberwurst schmiert, die Kaloriengrenze, die sie sich für jeden Tag setzt, hat sie damit wieder weit überschritten, ihr Gewicht zu halten fällt ihr schwer.
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    Die nächste Kundin kauft großzügig ein und sagt zum Schluß, sie wolle noch etwas von den eingelegten Vorspeisen nehmen. Die Artischockenherzen können Sie ruhig zu den grünen Oliven in die Tüte tun, das soll heute abend alles in den Salat, mein Mann mag das so gern, höre ich sie sagen und erschrecke über ihre Mitteilsamkeit. Sie läßt noch mehrere Sätze folgen, in denen ein gedeckter Tisch mit großen, runden, von Messerklingen gefurchten Holztellern vorkommt, außerdem ihre Ehe und die Freude am gemeinsamen Abendbrot. Auf einmal scheint ihr ganzes Leben, aus Wurststückchen und Fleischpasteten nachgeformt und mit Wacholderzweigen dekoriert, zwischen Bierschinken und Baguettesalami in der Vitrine auszuliegen. Die Frischfleischfachkraft antwortet nicht, unbekümmert löffelt sie die Artischockenherzen aus der Schüssel in ein Plastikschälchen, das sie mit einem transparenten Deckel verschließt. Sie ist die Frau ohne Unterleib, ich kenne sie nur als Fleischthekenverkäuferin. Als sie mir einmal auf der Straße begegnete, wußte ich nicht, wo ich sie schon einmal gesehen hatte, und kam erst beim nächsten Besuch im Supermarkt dahinter, wem ich da beinah in die Arme gelaufen war. Als Kind bekam ich von solchen unterleibslosen Frauen meist ein Stück Fleischwurst gereicht, daran muß ich nun denken, weil sich hinter mir ein Mann mit einem vier- oder fünfjährigen Kind angestellt hat. Ich bekam ein StückFleischwurst vom Ring, deren senfgelbe oder orangefarbene Pelle von der Frau ohne Unterleib mit einem scharfen Messer erst tief eingeschnitten und dann wie ein Stück Haut, die Handbewegung hatte etwas Grausames, über die Klinge abgezogen wurde. 12 Der Einschnitt war in der freigelegten, weichen Wurst, die man mir über die Vitrine reichte, noch zu sehen. Manchmal war ich mir daraufhin gar nicht mehr sicher, ob ich das, was mir da zum Geschenk gemacht wurde, noch essen wollte. Heute, das habe ich schon ein paarmal beobachtet, fragen die Verkäuferinnen die begleitenden Elternteile immer um Erlaubnis, bevor sie einem Kind eine Scheibe Gesichtswurst oder eine kleine Geflügelwiener anbieten.
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    Die Frau mit dem Mann, der so gern Artischockenherzen ißt, hat viel zuviel verraten. Mir kommt es vor, als hätte sie ihr halbes Leben erzählt. Sie könnte sich ausziehen und stünde nicht nackter da, und das nur, weil sie eine Vertraulichkeit an den Tag gelegt hat, die in Supermärkten unüblich und fehl am Platz ist. Einen Moment lang war es peinlich. Ich glaube, aber vielleicht habe ich mir das bloß eingebildet, daß die Fleischthekenverkäuferin kurz gegrinst hat, die Kundin tut mir nun fast leid. Eigentlich hat sie ja bloß ein paar Bemerkungen über ihr Abendessen gemacht.
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    Ein Stück Menschenfleisch, gut abgehangen bitte, sage ich und höre die Verkäuferin antworten: Am Stück oder in Scheiben? Mit Knochen, Herz, Milz, Lunge, Leber? Herz ist frisch, wissen Sie, und die Nieren sind heute erst aus Moldawien gekommen, die Bauchspeicheldrüsen aus Bangladesch. Nein, die Frau hinter der Fleischtheke sagt das natürlich nicht, ich bin ja noch gar nicht an der Reihe. 13 Sie ist auch nicht die Augurin, die für mich in den Eingeweiden der Tiere liest, deren Fleisch sie verkauft. Die meiste Zeit ist sie damit beschäftigt, in

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