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Vier Äpfel

Vier Äpfel

Titel: Vier Äpfel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Wagner
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Frischhaltefolie verschweißte Schinken und Würste aus ihrer Verpackung zu lösen und in dünne Scheiben zu schneiden. Ich nehme nun doch, obwohl ich hier sonst nie etwas esse, eines der Probierspießchen, nur weil ich wissen will, ob ich wirklich wach und im Supermarkt oder vielleicht doch ganz woanders bin. Das Wurstwürfelchen, das unten auf dem Holz steckt, schmeckt salzig und nach Rauch. In einer Wurstwerbung fielen jetzt zwangsläufig die Wörter
Spezialität
und
pikant
. Allein daß ich das Wort
pikant
gedacht habe, verdirbt mir den Geschmack, ich werde diese Wurst nicht kaufen, keine Experimente, ich werde bei Schwarzwälder Schinken und Mailänder Salami bleiben, denke ich und schaue auf das hinter der Theke an mattsilbern glänzenden, S-förmig geschwungenen Fleischerhaken hängende Fleisch. Die unteren Enden dieser Haken sind so spitz, daß sie sich leichtund tief ins Gewebe bohren und auch schwere Stücke halten. Früher fand ich es sonderbar, daß die Fleischbeschauer ihre violetten Stempel direkt auf das Fleisch drücken durften, das sollte doch gegessen werden. Ich kann nicht erkennen, was für ein Stück von welchem Tier da hängt und wo es, wenn es Glück hatte, auf der Weide graste. L. hat deshalb immer auf Bioladenfleisch bestanden, hin und wieder hat sie auch nachhaltig gezüchtetes Fleisch tiefgekühlt bestellt. Eine Katalogbestellung des Fleisches war ihr auch deshalb recht, weil sie sich nur ungern daran erinnert hat, wie die Metzgersfrau in dem Ort, in dem sie aufwuchs, jeden Kunden überwachte. Verlangte jemand vierhundert statt zweihundert Gramm Aufschnitt und nahm teureren als sonst, wußte sie, daß der Besuch immer noch da war, und erzählte das allen weiter. Persönliche Kundenüberwachung dieser Art gibt es an Supermarkt-Fleischtheken nicht mehr. Die Verkäuferin kennt meinen Namen nicht, und ich muß ihren auch nicht kennen, ja ich glaube, daß ich an dem Tag, an dem die Fleischthekenverkäuferin mich mit meinem Namen anreden würde, zum letzten Mal in diesem Supermarkt gewesen wäre. An die Stelle des persönlichen Wissens über einen Kunden sind die anonymen, digitalen Kundendaten getreten. Die Computerwaage merkt sich, wann und wieviel wovon und womit zusammen gekauft wird, sie behält dieses Wissen aber für sich und fragt nicht nach, wie lange der Besuch noch bleibt oder weshalb ich nur noch Schinken für eine Person kaufe, ob die Ehefrau vielleicht ausgezogen ist und warum.
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    Als ich endlich an der Reihe bin, bringe ich ein kurzes, distanziertes, trotzdem nicht unfreundlich klingendes Hallo über die Lippen und sage: Ich hätte gern je hundert Gramm Schwarzwälder Schinken und Mailänder Salami. Die Fleischwarenfachkraft, sie trägt eine weiße Kittelschürze und, was mich nicht stört, heute kein Namensschild, nimmt erst den Schinken, er liegt schon in Scheiben geschnitten auf einer Klarsichtfolie in der Auslage, wiegt ihn ab und schlägt ihn in festes, beschichtetes altrosafarbenes Wachspapier ein, das hier noch gar nicht lange verwendet wird. Es hat die Raschelfolie abgelöst und ist eigentlich ein Retro-Einwickelpapier, das die verpackten Wurstwaren aufwerten soll. Fehlte nur noch, daß die Verkäuferin den Betrag mit einem dicken Bleistift auf mein Päckchen schriebe, so, wie es die Metzger früher gemacht haben, aber selbstverständlich druckt die elektronische Waage auch hier Strichcode-Etiketten aus, die entweder auf das Papier oder, wenn es sich wie bei mir um zwei Aufschnittpäckchen handelt, auf ein halbtransparentes Tütchen geklebt werden, in dem die Wachspapierpakete dann beieinanderliegen. Es gab auch eine Zeit, und in manchen Supermärkten wird das noch immer so gehandhabt, da wurde der Wiegebon mit einer Heftzange angetackert; mir hat das nie behagt, weil ich immer die Befürchtung, ja die Angst hatte, eines Tages eine dieser Heftklammern mitzuessen. Die langen, dicken, leicht abgeflachten Zimmermannsbleistifte steckten den Metzgern meist hinter dem rechten Ohr, denke ich noch, aber da reicht die Fleischwarenfachkraft mir schon mein Paket, zwei Päckchen in einer milchigen Plastiktüte, über die Vitrine. Und ich frage mich, wie oft sie das in ihrem Leben schon gemacht hat, ob sie wohl nachts davon träumt,ja ob sie nicht manchmal, in ihrer Vorstellung wenigstens, versucht ist, statt einer Salami oder eines Schinkens ihre linke Hand gegen das sich so schnell drehende und schrill sirrende Messer der Schneidemaschine zu drücken und in hauchdünne Scheiben zu

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