Vier Arten, die Liebe zu vergessen
auch.«
Er reiste noch ein paar Tage durchs Land, nach Kerry, Connemara,
Donegal, und hörte so viel Musik wie möglich im Autoradio und live in den Pubs
der Städte und Dörfer, durch die er kam. Er beherrschte sich und rief nicht an,
aber er dachte jeden Tag an diesen jungen Herrn Benson, der Noten lesen konnte
und mittlerweile vielleicht schon Kontakt mit Erin aufgenommen hatte.
Zurück fuhr er geradewegs zur Fähre nach Holyhead, ohne in Dublin
haltzumachen. Die Verabredung war, Benson würde sich melden, wenn es etwas zu
melden gab, und an diese Verabredung hielt sich Michael, obwohl es ihm
schwerfiel.
Auf der Fahrt durch England, von Holyhead nach Dover, gab das
Autoradio seines alten Peugeots keine irischen Melodien mehr her, und er lieÃ
es nach etlichen erfolglosen Versuchen ausgeschaltet. Er wollte keinen
Synthesizerpop hören, sich lieber an das keltische Gefiedel erinnern und die
Inspiration behalten. Nach fünf Tagen war er zurück in München und kaufte sich
von seinem so ziemlich letzten Geld einen Anrufbeantworter.
Und wartete.
~
Er stieg nicht in San Basilio aus, sondern fuhr zwei
Haltestellen weiter bis Zattere. Die jungen Briten waren tatsächlich bei Molino
Stucky an Land gegangen und hatten ihr rollendes Gepäck hinter sich her zum
Hilton gezogen. Michael setzte sich für eine Weile an die Bar am Wasser, trank
einen Espresso und sah abwechselnd den Schiffen auf dem Kanal und den Frauen am
Ufer, die ihre Gesichter in die Sonne hielten, zu. Dann nahm er seine beiden
Einkaufstüten und ging zu Signora Brewer.
Ein Brot, zweihundert Gramm Schinken, einen Liter Milch und das
Time-Magazine überreichte er ihr an der Haustür, das Restgeld hinterher und gab
sich wieder eilig, damit sie nicht auf die Idee käme, ihn hereinzubitten. Es
funktionierte, und er ging die paar Meter zu seinem Haus mit schlechtem
Gewissen. Warum hatte er ihr nicht zehn Minuten Smalltalk schenken können? Sie
war offenkundig einsam, er hatte alle Zeit der Welt, wieso also nicht? Weil
Einsamkeit kein Anrecht bildet, sagte er sich und schämte sich noch mehr für
diese wohlfeile Schlagfertigkeit sich selbst gegenüber.
Aber er war kein Pfarrer oder Sozialarbeiter. Dass er ihre Einkäufe
erledigte, mochte nett von ihm sein, aber es hieà nicht, dass er sich für ihr
Leben interessierte. Sie konnte das glauben oder hoffen, aber das war ein
Missverständnis. Er hatte keine Lust, sich vollplappern zu lassen. Wenn sie ihn
wenigstens etwas fragen würde, aber das tun die Leute nicht. Die Einsamen schon
gar nicht. Sie wollen reden, und es ist ihnen egal, ob derjenige, dessen
Höflichkeit sie dafür ausnutzen, das, was sie ihm auf die Ohren packen,
brauchen kann, wissen will, hören sollte. Niemand fragt. Alle reden. Michael
hatte viel zu oft in seinem Leben als Ohr hergehalten, er wollte nicht mehr.
Zumindest nicht jetzt und nicht bei Signora Brewer, mit der ihn nichts verband
als schiere Höflichkeit und die zufällige Nachbarschaft.
Minus lieà sich nicht blicken, als er die nachtblaue Tür hinter sich
schloss. Tagsüber machte man kein Aufhebens von kurzen Abwesenheiten. Michael
ging in sein Büro und schaltete den Computer ein. Eine Mail von Ian: Wenn er
noch Songs habe, dann solle er sie bald schicken. Das neue Album sei in Vorbereitung,
Fairy O treffe sich schon mit Rick Rubin, um die Produktion zu besprechen. Sie
habe vier Songs von Michael in der engsten Wahl, da sei noch Platz. Einer von
Paul Brady, einer von Knopfler und zwei Traditionals seien dabei, weiter sei
noch nichts beschlossen.
Ich kenne den Traditional, den sie noch aufnehmen wird, dachte
Michael, The parting glass , und wenn es einen
weiteren Song gibt, von dem sie weiÃ, dass Emmi ihn liebte, dann wird sie den
auch aufs Album nehmen. Und wenn es Molly Malone wäre.
~
Nach seiner Rückkehr aus Irland und dem Kauf des
Anrufbeantworters waren Michaels Ersparnisse aufgebraucht. Das Geld von seinem
Vater wollte er eigentlich nicht mehr annehmen, aber einstweilen war er noch
gezwungen, den Abbruch des Studiums zu verheimlichen, sonst säÃe er auf der
StraÃe oder brauchte sofort einen Job.
Er hatte noch etwas über vierzig Mark, mit denen er die sechs Tage
bis zum Monatsende auskommen musste. Problematisch, aber nicht unmöglich, fand
er und begann, wieder in der Mensa zu essen. Das hatte er nicht mehr getan,
seit er Erin gehört und in der Folge einen Song nach dem
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