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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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Feinde,
um zu lernen, wer man selbst ist oder sein kann. Diese vier Jungs waren bald so
aufeinander fixiert, dass kaum noch etwas sonst sie interessierte. Den
Schulstoff und das Gruppenleben absolvierte man irgendwie, das wirklich
Wichtige war, den beiden jeweils anderen möglichst zu schaden, sie genau zu
beobachten, ihre Schwächen zu erkennen, um sie alsbald zu nutzen, kurz: Die
vier waren auf eine den Lehrern und Erziehern höchst unangenehme Weise
miteinander beschäftigt, und wann immer sich etwas als Funken interpretieren
ließ, brannte die Luft.
    Auf diese Weise vergaßen sie alle vier, wie unglücklich sie waren.
Es gab Wichtigeres als das Abgeschoben- und Verlassensein, es war ein
abwechslungsreicher und abenteuerlicher Lebensinhalt geworden, dem Feind zu
geben, was er verdiente – ins Kissen weinte man lautlos, und die Albträume
behielt man ohnehin für sich.
    ~
    Nach dem Duschen und einem Blick auf Minus’ Schälchen mit
Wasser und Trockenfutter ging Michael nach nebenan zur Fondamenta Foscarini und
klingelte bei Signora Brewer. Sie war siebzig, Italienerin und die Witwe eines
Chicagoer Transportunternehmers, hatte sich vor zwei Wochen bei einem Sturz in
der Wohnung das Bein angeschlagen, worauf ein beachtliches Hämatom, zuerst
blau, mittlerweile schon gelb, ihr das Gehen so beschwerlich machte, dass er
und Serafina ihr einstweilen alle zwei, drei Tage die Einkäufe abnahmen.
    Es war ihm unangenehm, mit wie viel Lobpreisung und Dankbarkeit die
Signora ihn jedes Mal deswegen überschüttete, und sie war ihm nicht so recht
sympathisch, denn er verdächtigte sie, einen gewaltigen Dünkel mit sich
herumzutragen, aber es musste eben sein.
    Die blauhaarige, elegant gekleidete alte Dame war ihnen aufgefallen,
als sie, am Brückengeländer Halt suchend, ihre Einkaufstasche auf Rädern die
Treppe hochwuchten wollte und es einfach nicht schaffte. Sie halfen ihr,
brachten sie, auf beiden Seiten eingehakt, zuerst über die Brücke und dann nach
Hause, lobten ihre Tapferkeit, nachdem sie das (damals noch) blaue Bein
besichtigt hatten, verboten ihr aber (Serafina machte resolut die Ansagen),
noch mal aus dem Haus zu gehen, bevor alles geheilt wäre. Seither fragten sie
jeden zweiten Tag telefonisch oder, wie Michael jetzt, an der Haustür, was sie
brauchte, und brachten es ihr mit. Heute war er an der Reihe, das hatten sie
vorgestern Abend besprochen.
    Signora Brewer schrieb den Zettel an ihrem Küchentisch, respektierte
Michaels vorgetäuschte Eile und insistierte nicht auf dem Kaffee, den sie ihm
angeboten und den er abgelehnt hatte – knapp drei Minuten später war er wieder
draußen und ging an der Carmini-Kirche vorbei zum Campo Santa Margherita, wo er
sein Frühstück, Brioche und Cappuccino, in einer Bar im Stehen an der Theke
nahm.
    Von hier aus wäre es nicht weit zum Coop am Piazzale Roma, wo es die
schönsten Salate in der Stadt gab (wenn man vom immer überlaufenen und einfach
zu penetrant nach Fisch riechenden Rialto-Markt absah), aber er änderte seinen
Plan und ging über den Campo San Barnaba zur Accademia, weil der Cappuccino
dort verlässlich gut war und er dem eben getrunkenen mittelmäßigen noch etwas
entgegensetzen wollte.
    Eigentlich war es unklug, ausgerechnet an einem Samstag sowohl zur
Accademia als auch zum Piazzale Roma zu gehen – die Tagestouristen trieben sich
dort herum, und samstags waren es besonders viele. Der Billa-Supermarkt am
Zattere wäre die erste Wahl, fast kein Besucher verirrte sich je dorthin, aber
Michael hatte schon gestern Abend beim Anflug diese Salatauslage vor Augen gehabt,
deshalb musste es eben der Coop sein. Und ein richtiger Cappuccino vorher.
    Es war nicht so schlimm wie befürchtet. Bis zur Accademia finden nur
noch wenige und überdies die sympathischeren Touristen. Die Busbesatzungen auf
der Jagd nach Souvenirs aus Glas und einem Foto von sich auf dem Markusplatz
oder der Rialtobrücke drehen meist schon kurz nach San Marco wieder um. Bis zur
Accademia oder gar noch zum Guggenheim-Museum kommen nur noch die
Kunstinteressierten mit ihren Rucksäcken und Wasserflaschen, deren Anblick
nicht ganz so auf die Stimmung schlägt. Sie haben (zumindest manchmal) Augen im
Kopf und wissen die architektonische und kunsthistorische Sensation zu
würdigen, in der sie sich bewegen.
    Leider konnte er in der versteckten Bar um die Ecke nicht an der
Theke stehen, sondern

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