Vier Arten, die Liebe zu vergessen
anderen komponiert
hatte. Fast ein Vierteljahr war das inzwischen her.
Und knapp zwei Wochen war es her, dass er Emmi angerufen und sich
von ihr Erins Adresse diktieren lassen hatte, dann war er zur Post gegangen, um
all sein Geld abzuheben, hatte den Peugeot vollgetankt und war nach Dublin
gefahren.
In der Mensa sprach ihn jemand von der Seite an: »Kann ich mit
deinem Tablett Nachschlag holen, oder hast du für mich eine Marke übrig?« Es
war Corinna. Sie hatte auf jemanden Bekanntes gewartet, um ein Essen zu
schnorren.
»Du kriegst meins, ich will das Kotelett sowieso nicht«, sagte er.
»Und du?«
»Ich hol den Nachschlag. Und bis dahin leihst du mir ein bisschen Püree
und Bohnen.«
»Super.« Sie küsste ihn spontan auf die Wange und hakte sich
kumpelhaft bei ihm unter.
»Hast du noch diese tolle Espressomaschine?«, fragte sie, nachdem
sie satt und zufrieden ihr Tablett von sich geschoben hatte.
»Die ist nicht toll, die ist ganz normal. Jedenfalls für Italiener«,
sagte er.
Sie zog ein Päckchen Lavazza-Kaffee aus ihrer Tasche und legte es
vor ihn hin wie einen Tribut, den sie ihm aus irgendeinem Grund schuldete.
»Hab ich geschenkt gekriegt. Und du bist der Einzige, der eine
Maschine für so was hat.«
»Irgendwie passt das aber gut, oder?«
»Wenn du mir eine Tasse davon servierst, dann kriegst du den Rest.«
»Passt auch.«
Sie fuhren mit ihren Rädern die LeopoldstraÃe hoch und dann in die
HohenzollernstraÃe. Vor dem Haus, in dem er wohnte, kettete Michael die Räder
aneinander, weil Corinna ihr Schloss nicht aufbekam. Dass sie nach dem
erfolglosen Gefummel den Schlüssel nicht wütend wegwarf, lag nur daran, dass er
am Bund mit allen anderen hing. Es dauerte einen Moment, bis sie den Zorn
wieder geschluckt hatte und zu ihrer guten Laune zurückfand.
Oben in der Wohnung blinkte der Anrufbeantworter. Michael konnte ihn
auf keinen Fall abhören, solange Corinna dabei war, und er konnte sie auch
nicht einfach wieder wegschicken. Danach wäre ihm eigentlich gewesen, aber das
kam nicht infrage. Er improvisierte: »Wenn du unten an der Ecke Milch holst,
dann mach ich richtigen Cappuccino.«
Sie sah ihn erstaunt an. Fürs Delegieren war er bisher nicht berühmt
gewesen. Es gibt Menschen, die immer andere schicken, und solche, die das nie
tun. Michael gehörte zu den Letzteren. Aber sie dachte, vielleicht hat er kein
Geld und will das nicht zugeben, also ging sie los, um Milch zu besorgen.
»Hi«, sagte Ian Bensons Stimme in diesem trockenen irischen Englisch,
auf dessen Klang Michael so sehnlich gewartet hatte, »ich hab sie gehört, ich
will die Beteiligung, und ich habe ein paar interessante Neuigkeiten für dich.
Ruf an.«
Michael löschte den Anruf und schnitt mit der Schere aus der
Küchenschublade die Vakuumverpackung des Kaffees auf. Die Maschine hatte er
schon angeschaltet, damit sie aufheizen konnte.
Als er Corinnas Schritte auf der Treppe hörte, begriff Michael, dass
sie hier war, weil sie mit ihm schlafen wollte, deshalb nahm er ihr die Milch
ab, als sie vor ihm stand, und küsste sie auf den Mund. Sie erwiderte den Kuss,
machte mit ihrer Erwiderung erst einen richtigen Kuss daraus â er hatte einfach
nur ihre Lippen mit seinen berührt â, sie schickte ihre Zunge vor und legte
beide Hände an seine Wangen. Den Kaffee vergaÃen sie vorerst und schoben
einander gegenseitig in sein Schlaf-, Studier-, Wohn- und inzwischen auch noch
Musikzimmer, in dem neben und auf dem Schreibtisch eine Gitarre, Emmis
Mandoline und ein kleines Casio-Keyboard lehnten und lagen.
»Davon hab ich so lang geträumt«, sagte er, als Corinna nackt vor
ihm stand und er sich die Jeans mitsamt der Unterhose von den Hüften schob, und
er fühlte sich wie ein Lügner, obwohl es die Wahrheit war. Er hatte sich die
letzten Jahre über Vorstellungen von Corinnas nacktem Körper gemacht, hatte ihn
sich so schön phantasiert, wie er nun tatsächlich vor ihm stand, hatte sich
gewünscht, mit ihr an einem See zu liegen und von nichts als warmer Nachtluft
bedeckt zu sein, Corinnas Duft einzuatmen, von dem er damals noch nicht wusste,
dass es ein junger Duft war, denn er kannte nichts anderes, ihre Hände an sich
zu spüren, ihre Haut und ihren Atem â all das hatte er sich wieder und wieder
vorgestellt und gewünscht, aber nun, da es Wirklichkeit wurde, kam es zu
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