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Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Vier Arten, die Liebe zu vergessen

Titel: Vier Arten, die Liebe zu vergessen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thommie Bayer
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musste sich nach draußen an eines der Tischchen setzen.
Das widerstrebte ihm, es war nicht einheimisch. Allerdings hatte es den
Vorteil, dass er rauchen durfte, und das glich den Mangel wieder aus.
    Eine Zeit lang sah er den Leuten zu, die vorbeigingen und sich in
Richtung Palazzo Cini, Guggenheim oder Santa Maria della Salute verloren. Es
waren nicht viele. Die Männer trugen ihre Hemden über den meist kurzen Hosen,
das Sprachgemisch, das seine Ohren erreichte, war europäisch, asiatisch und
amerikanisch – ein typischer Samstag im Sommer.
    Um nicht in einen Pulk fotografierender oder mit flinken Afrikanern
um gefälschte Taschen feilschender Touristen zu geraten, nahm Michael nicht den
kürzesten Weg mit dem Traghetto, der Gondelfähre über den Kanal, sondern ein
Boot der Linie 2, das nur manche Haltestellen anfuhr und ihn, so gemächlich das
eben hier vor sich ging, zu seinem Ziel schaukelte.
    ~
    Nach dem Einkauf, auf dem Boot der Linie 4, stand Michael
im Mittelgang. Eigentlich war das keine Linie, die für Besucher interessant
war, aber er hatte eine Gruppe junger Briten um sich, die vielleicht direkt
nach Giudecca wollten und sich vorher nach der richtigen Linie erkundigt
hatten. Der Kleidung nach konnten es Gäste für das neue Hilton Hotel sein, auch
das Englisch, das er aufschnappte, schien ihm auf eine Herkunft aus besseren
Kreisen hinzudeuten.
    Sie fummelten fast alle an irgendeinem Gerät herum, iPods, iPads,
iPhones und andere handliche Elektronik piepsten, klackten und klimperten links
und rechts von ihm und mischten ihre Spielzeugsounds in das Klatschen der
Wellen und Knurren des Schiffsmotors.
    Er wollte sich mit den beiden vollen Coop-Tüten nicht in die Kabine
hinunterdrängeln – für die paar Haltestellen lohnte sich das nicht –, deshalb
hörte er unfreiwillig, aber doch interessiert der gedämpften Kakophonie aus den
verschiedenen Ohrstöpseln zu. Rechts von ihm Gitarrenbrei, links ein Trancegewummer
und direkt daneben irische Flöten und Geigen. Er lächelte. Es war kein Stück
von ihm, auch kein anderes von Fairy O, es klang eher nach Altan oder
Chieftains, aber es flog ihn gewissermaßen in Sekundenschnelle nach Nordwesten
über die Alpen, Frankreich, den Ärmelkanal, England und brachte ihn nach
Galway, wo er länger als ein Jahr gelebt hatte, immer in der Hoffnung, einen
seiner eigenen Songs aus dem Munde eines Straßenmusikers, dem Fenster eines
vorbeifahrenden Autos oder dem Radio irgendeines Pubs zu hören.
    ~
    Das geschah selten, aber es geschah, und es waren Momente
erhabenen und gleichzeitig verstohlenen Glücks, die er dann erlebte. Er kam
sich vor wie ein Geheimagent, nach dem man suchte, über dessen Identität man
Spekulationen anstellte und den niemand würde erkennen können, weil weder sein
Gesicht noch sonst irgendetwas aktenkundig war, sodass er sich mit nichts,
keiner Geste, keinem falschen Wort, verraten konnte.
    Er hatte damals einen Job als Assistent an der Universität und
Nachhilfelehrer in Deutsch. Die Tantiemen, von denen er später so luxuriös
würde leben können, waren noch nicht bei ihm angekommen, bislang waren es
Zahlen auf Listen von Radioeinsätzen und Plattenverkäufen, die ihm Ian, sein
Musikverleger, einmal wöchentlich faxte.
    ~
    Nach seinem Songwriting-Exzess war Michael nach Dublin
gefahren, um einen Musikverlag zu finden, der seine Songs Erin anbieten würde.
Diese Idee war natürlich naiv gewesen. Man zeigte ihm höflich, aber deutlich,
mal mit irischem Gleichmut, mal mit britischem Hochmut den Vogel, wenn er sein
Bündel Noten und angehefteter Textblätter auf den Tisch legte und seinen Plan
erklärte, diese Lieder ausschließlich einer einzigen und obendrein noch völlig
unbekannten Sängerin anzubieten.
    Mach eine Band auf, schaff es in die Charts, und komm dann wieder,
bekam er zur Antwort, oder auch: Für deine Hobbys sind wir nicht zuständig.
Nicht einer dieser hippen jungen Männer warf einen Blick auf die Noten.
Vermutlich konnte keiner sie lesen.
    Nach vier erfolglosen Besuchen fiel Michael auf, dass keiner dieser
Verlage etwas Gedrucktes herausbrachte, es waren Promotionfirmen, die sich mit
dem Verlagsanteil an den Tantiemen entlohnen ließen.
    Nach weiteren vier Versuchen, diesmal bei Verlagen, deren Namen er
auf Liederbüchern und Notenheften gefunden hatte und die ihn ebenso spöttisch,
ignorant und nur

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